Das Tulpenfest in Istanbul.
Istanbul, die riesige Metropole der Türkei, die langsam auf 20 Millionen Einwohner zuschreitet, ist die einzige Stadt der Welt, die sich über 2 Kontinente (Asien und Europa) erstreckt. Jedes Jahr im April wird in der Stadt das “Lale-Festivali”, auch “Istanbul Tulip Festival” genannt, gefeiert. Dann erblüht auf den öffentlichen Flächen der Stadt, an den Uferpromenaden und in den Parks ein buntes Spektakel mit Unmengen von Tulpen. Die Einwohner Istanbuls können sich doppelt freuen, denn im Mai, wenn die Tulpen verblüht sind, werden sie überall ausgegraben und wer mag, darf sich Zwiebeln mitnehmen.
Auf dem Weg zum Emirgan Park (Emirgân Korusu), den mir mein lieber, alter Freund Tekin zeigen möchte, fallen mir einige Parallelen zu Rom ein. In keinen anderen Städten, die ich bisher besuchte, gibt es eine so große Anzahl von Cercis siliquastrum, Judasbaum, als Straßen- und Parkbaum, wie in Istanbul und Rom. Beide Städte sind auf 7 Hügeln erbaut. Im Falle Istanbuls, vormals Konstantinopel genannt, war das als Proklamation des Byzantinischen Reiches zu sehen, um anzudeuten, dass das römische Groß-Imperium im Niedergang begriffen war.
Der riesige Stadtpark Emirgan liegt auf der europäischen Seite Istanbuls. Auf einem der Hügel der Stadt über der Meerenge des Bosporus, der die Grenze zwischen Asien und Europa markiert und das Marmarameer mit dem Schwarzen Meer verbindet, schmiegt sich der Park mit drei Pavillons an den Hang. Jedes Jahr im April ist er der Hauptschauplatz für das Lale Festivali. Das türkische Wort “Lale” bedeutet Tulpe, der Begriff existiert auch als Mädchen-Vorname.
Auf dem teilweise steilen Hang kommen die Tulpenteppiche und –muster gut zur Geltung. Im April ist das Wetter hier oft verschleiert. Wegen der Zeitverschiebung bin ich erst spät am Nachmittag hier angekommen. Trotzdem leuchtet mir das Weiß der Tulpen aus der diffus feuchten Luft entgegen.
Die großen, stark bunt gestalteten, dicht bepflanzten Flächen bekommen in dieser leicht milchig angehauchten Atmosphäre einen leisen Farb-Dämpfer verpasst, der dem Tulpen-Meer recht gut tut. Die Gefahr, von fröhlich lauter Buntheit in marktschreierischen Expressionismus abzugleiten, ist bei der Gattung Tulipa, in der hier verwendeten Mischung und Masse nicht gering.
Die großzügige Gestaltung mit Tulpen im Emirgan Park ist dem Keukenhof in den Niederlanden absolut ebenbürtig. Der Park hinterlässt als Haupt-Veranstaltungsort des Lale-Festivali geschmacksunabhängig einen starken Eindruck. Zwei Fragen stellen sich mir in der Tat – warum sehe ich hier keine heimischen Tulpen-Arten und warum gibt es keinerlei Beete, in denen ich die natürliche Verwendung, wie im Hermannshof von Weinheim, den ich gerade vor einer Woche vorgestellt habe, sehen kann?
Über die Gattung Tulipa allgemein, habe ich bereits in einem eigenen Beitrag aus meinem Garten berichtet. Wenn Ihr ihn noch nicht kennt, er kann Euch vielleicht auch im eigenen Garten nützlich sein, bitte, hier ist der Link:
https://www.wurzerlsgarten.de/arbeiten/jetzt-tulpen-zwiebeln-setzen/
Bedeutung der Tulpe in der Türkei
Da keine Namenschilder der gepflanzten Tulpen existieren und ich denke, dass die Fotos visuell für sich sprechen, möchte ich etwas abschweifen und über den Status der Tulpe in der Türkei erzählen. Denn die Karriere der Tulpe, die sie im damaligen Osmanischen Reich gemacht hat, bevor sie Europa in die “Tulpomanie” gestürzt hat, ist auch in ihrem teilweisen Herkunftsland beachtlich.
Eine alte Osmanische Legende besagt, dass aus dem Blut jeden Kriegers, der für seinen Stamm gestorben ist, eine Tulpe entsteht. Diese Mythologie, dazu die Tulpen-Vorliebe der Osmanischen Sultane, seit Sultan Süleyman I. und die Herkunft vieler Wildtulpen innerhalb seines Machtbereiches, führten dazu, dass das Wappen der Osmanen unter anderem auch von der Tulpe geziert wurde. In der heutigen Türkei gilt sie aufgrund dieser symbolischen Bedeutung als Nationalblume.
Inzwischen weiß sicher jeder, dass die Niederlande nicht die ursprüngliche Heimat der Wild-Tulpen sind. Sie gelangten über den Himalaya und Kasachstan, letzteres wurde im 16. Jahrhundert teilweise von Sultan Süleyman dem Ersten für das Osmanische Reich erobert, in die damalige Hauptstadt Konstantinopel (heute Istanbul). Nicht nur durch groß angelegte Feldzüge, auch durch die Wanderungen nomadischer Türken gelangten Wildtulpen, z.B. aus dem Pamir-Gebirge nach Anatolien und an das Marmarameer.
Da die höchste Artenvielfalt von Tulpen in den oft schwer erreichbaren Steppen und Bergregionen Mittelasiens liegt, ist es bisher nicht gelungen, die natürliche Variabilität der Tulpenarten ausreichend zu untersuchen. So gibt es in Fachbüchern bis zu 150 verschiedene Tulpen-Beschreibungen. Die “World Checklist of Selected Plant Families” erkannte 2019 allerdings nur 76 Arten in ihren ursprünglichen Verbreitungsgebieten von Nordafrika, Europa, Mittel- und Zentralasien an.
In der Türkei gibt es viele Naturstandorte und wenn man sich an die obige Osmanische Legende erinnert, so ist es nicht verwunderlich, dass ein Großteil der türkischen Wildtulpen in rot blüht. Für Interessierte nenne ich einige Arten: Tulipa agenensis (Sonnenaugentulpe), Tulipa aleppensis (Aleppo-Tulpe), Tulipa armena (Armenische Tulpe), Tulipa julia (Julia Tulpe), Tulipa suaveolens (Schrenks Tulpe) oder die nur in der Türkei natürlich vorkommende Tulipa cinnabarina.
Uns bekannt sind wohl eher die Tulipa biflora (Zweiblütige Tulpe) die weiß-gelb blüht und die beiden helllila Tulpen, Tulipa humilis (Niedrige Tulpe) und Tulipa saxatilis (Felsentulpe), die ebenfalls hier gedeihen.
Der Botanische Begriff “Tulipa” stammt ursprünglich wohl aus dem Osmanischen “tülbent”, was übersetzt “Turban” bedeutet. Dagegen kommt der Türkische Name der Tulpe “Lale” aus dem persischen لاله lāle, (etymologisch dem Sanskrit nahe) was sich einfach mit “rot” übersetzen lässt.
Auch wenn das Gros der Wildtulpen nicht direkt, oder nicht nur aus der Türkei stammt, so war es doch der Verdienst der Osmanen, dass sie erstmals in größerem Stil kultiviert wurden. Das damalige Osmanische Reich war um ein vielfaches größer und einflussreicher als die heutige Türkei.
Nach Europa, genauer gesagt nach Wien, gelangten die ersten Tulpen 1554 durch den Flamen Ogier Ghislain de Busbeque, einem Diplomaten Kaisers Ferdinand I. . Ab 1573 arbeitete Charles de l’Ecluse in den kaiserlichen Gärten Maximilians II. in Wien. “Carolus Clusius”, unter diesem Namen kannte man den Botaniker, verlor später, wie alle Protestanten am Wiener Hof, seine Arbeit. Er führte sie an der Universität Leiden und dem dortigen Botanischen Lehrgarten weiter. Als er die ersten Tulpen-Züchtungen vorstellte, verfielen die Niederlande Anfang des 17. Jahrhunderts in eine Tulpenmanie. Tulpen zum Schönheitsideal und Statussymbol erhoben, erzielten Preise wie die schönsten Häuser in Amsterdam. Als der Tulpenmarkt 1637 zusammenbrach, hatte die Wirtschaftsgeschichte eine Spekulations-Blase des Kapitalismus erster Güte erlebt.
Aber zurück in das Osmanische Reich, zur Türkei. Dorthin gelangten Anfang des 18. Jahrhunderts damals neue holländische Tulpen-Züchtungen. Nun brach auch in Konstantinopel das Tulpenfieber aus. Diese Epoche wird in der Türkischen Geschichte noch heute als “Lale Devri” – “Tulpenzeit” bezeichnet.
Spurensuche nach der Tulpe in Historie und Gegenwart
Wie wichtig in der Türkei bis heute die Bedeutung der Tulpe ist, zeigt nicht nur der Haupt-Veranstaltungsort des Lale-Festivali im Emirgan Stadtpark. Man findet blühende Tulpen jährlich im April überall in der Stadt, wo sie mit den Judasbäumen, Cercis siliquastrum, um die Wette blühen.
Wer mit offenen Augen durch Istanbul geht, der begegnet der “Lale” überall in der Kunst, im Kunsthandwerk, der Osmanischen Kultur und der muslimischen Religion. Ich möchte Euch gerne noch einige Beispiele zeigen, die vom Kaiserlichen Palast, über die Moscheen im Stile Mimar Sinans erbaut, bis in den Alltag der neuesten Zeit zur Metro-Station in Istanbul reichen.
Da die Osmanischen Sultane nicht nur die weltlichen Herrscher waren, sondern auch die religiöse Macht in ihren Händen hielten, ähnelten sich die Ausgestaltungen von Palästen und Moscheen innerhalb der verschiedene Epochen.
Henkeltasse – Tughra – Wandnische mit Fliesen ausgekleidet – aus dem alten Palast Topkapı-Serail
Meine Spurensuche nach der “Tulpe” beginnt im alten Topkapı-Serail. Dieser Palast (Baubeginn 1459) in Istanbul war über Jahrhunderte der Wohn- und Regierungssitz, sowie das Verwaltungszentrum der Sultane des Osmanischen Reiches. Getreu der türkisch nomadischen Tradition besteht der Palast aus verschiedenen Gebäuden, die sich anlehnend an die früheren “Zeltstädte” über den großen Garten hin verteilen.
Im Archäologischen Museum sind kleinere Kostbarkeiten des Palastes, wie die Henkeltasse mit einer blauen Spitztulpe bemalt, aufbewahrt. Neben der Tulpe gehören zum Dekor der berühmten Iznik-Keramik und –Fliese noch die Hyazinthe, Rose und Nelke. Direkt im Wandelgang des Topkapı-Palastes entdecke ich in einer feinen Steinarbeit ein Fundstück, das eine Tughra darstellt. Diese zeigt den individuellen Namenszug des Sultans, was man mit der Unterzeichnung und dem Siegel von Kaisern und Königen vergleichen kann. Die Tughra wurde sowohl gemalt, als auch reliefartig in Stein gemeißelt verwendet. Die Wandnische schließlich, die ebenfalls mit blauen Tulpen auf Fliesen dekoriert ist, sehe ich in einem Gemeinschaftsraum des Harems im Topkapı.
Rüstem Pascha Camii, geflieste Wand – Rüstem Pascha Camii, Fliese mit Tulpe – Roter Teppich in der Blauen Moschee
Unter Sultan Süleyman dem Prächtigen entstand in Konstantinopel eine völlig neue Stadtsilhouette, als er den wichtigsten Architekten seiner Epoche, Mimar Sinan 1539 zum Hofbaumeister ernannte. Die Moscheen wurden groß, prächtig und ihre hohen, schlanken Minarette bildeten einen ausgewogenen Gegensatz zu den großen “Himmelsgewölben” der Dächer. Auch in den Moscheen begegnen mir die “Tulpen” auf Schritt und Tritt. Ich betrete große Teppiche, die mit dem Lale-Muster verziert sind und finde die typischen Fliesen-Bemalungen an den Wänden wie in den Palästen.
Fliesenwand in der alten Furniculare Istanbuls – zwei modernere Interpretationen in Metrostationen
Die Tulpe ist bis heute ein herausragendes Thema in der Türkischen Kunst und Kultur. Egal ob es sich um alte osmanische Brunnen und Wasserspeier, Grabsteine, Gläser, Keramik, Teppiche, Gemälde, Lieder oder Poesie, oder um die Gestaltung moderner Metro-Stationen handelt, sie ist allgegenwärtig in ihrer meist natürlichen Wildform der spitz zulaufenden Blütenblätter. An den verwendeten Blütenfarben blau oder rot hat sich bis heute nichts geändert.
Das ist deutlich erkennbar an den letzten drei Fotos. Das erste davon entstand im Tünel (Furniculare), der ältesten Standseilbahn, Eröffnung 1875, Europas, die unterirdisch im europäischen Teil Istanbuls im Dauerbetrieb ist.
Die beiden letzten Fotos sind aus den letzten Jahrzehnten, als die moderne Metro in Istanbul ihren Betrieb aufnahm.
Emirgan Korusu – Emirgan Stadtpark Istanbul
Adresse: Reşitpaşa Mahallesi, Emirgan Sokak, Sarıyer, 34467 Istanbul, Türkei
Tulpen gibt es natürlich auch in Deutschland zu bewundern, ein besonders schönes Beispiel bietet der Hermannshof in Weinheim:
Tulpenblüte im Hermannshof, Weinheim – Wurzerls Garten
Ihr wollt in Eure Gärten auch mehr Tulpen? Dann schaut gerne auch hier herein:
Tulpenzwiebeln setzen – lohnt das für 1 Jahr? – Wurzerls Garten
13 Kommentare
Ich komme seit 1968 nach Istanbul und liebe es sehr. Dein Bericht und Wissen hat mir meine Liebe zu Istanbul noch einmal vertieft, durch deine Liebe angesteckt, und mir wunderbare Einsichten vermittelt. Danke dir sehr!
Liebe Ulla, ich weiß nicht, wann ich es schaffe, aber ich werde unbedingt für Dich in der Sparte Natur und Kultur noch einige Posts zu den Camiis und Palästen und Prinzeninseln usw. nachreichen. Vielleicht hast Du auch die Beiträge vom Taurusgebirge gesehen? Ich teile Deine Liebe zu dieser so spannenden Stadt. LG Wurzerl
Liebe Renate. Wieder hat mich Dein Wissen beeindruckt über die Historie der Tulpe. Es liest sich spannend. Die großen Flächen mit Tulpen mag ich persönlich nicht so , doch malen sie Bilder. Ich mags lieber kleiner und individueller Und die Wilden unter ihnen.
Danke für den schönen Bericht.
Liebe Christa, ja wir sind völlig einig, ich mag auch nur wenige Teile des Keukenhofs, das ist ein ähnlich protziges Prinzip, das die Tulpe zur Masse macht. Im Hermannshof ist das eigentlich am idealsten gelöst und die Tulpe am besten präsentiert und gewürdigt, in allen ihren Facetten. Hier ist es halt die Rolle der Lale in der Türkei, darum ein wenig Historie dazu und beim Keukenhof ist der Grund auch nachvollziehbar, lach. LG Wurzerl
Das ist ja eine wahre Farbexplosion . Danke Renate für die ausführliche Beschreibung.Fand ich sehr interessant.
Die Tulpen im Naturstandort zu sehen ist bestimmt toll.Ich freue mich auch schon wieder auf die Farbexplosion in meinem Garten 😘😘😘😘
Meine Rembrandt-Tulpen, frisch im Herbst in drei Holzkörben gepflanzt, spitzen 2 – 4 Zentimeter aus der Erde. Bin gespannt, ob diese alten historischen Sorten etwas langlebiger sind, als die neuen Hybriden. LG Wurzerl
Ein phantastischer Beitrag. Danke, ich bin fasziniert. VG. Brigitte.
Vielen lieben Dank Brigitte und… sehr schön von Dir zu hören. Wünsche Dir ein schönes Wochenende. LG Wurzerl
Beeindruckend. Zum 1.Mal hörte ich vom Tulpenfest in Istanbul als eine Freundin im April dorthin flog und sich anschließend nicht mehr einkriegte vor Begeisterung. Diese rosa blühenden Bäume und rechts und links der Straßen breite bunten Bänder aus Tulpen! Ich weiß nicht, ob sie überhaupt Idee Park war, die geschmückte Stadt reichte ihr schon. Deine Beschreibung war nicht so extrem enthusiastisch aber dafür wesentlich detaillierter. Mit mehr Wissen und Kenntnissen und so, daß ich dachte : wenn sie das als Buch herausgibt, dann möchte ich das gerne sofort kaufen.Zweimal: eins für mich und eins für die begeisterte Freundin .
Wenn Deine Freundin kein Internet hat, dann könnt Ihr es ja vielleicht einmal zusammen mit einem türkischen Tee zusammen gucken, lach. Denk einfach jedes Buch, das ich nicht herausgebe, rettet einem Baum das Leben. LG Wurzerl
Hallo Renate,
kurz bevor ich es las, fühlte ich mich auch an den Keukenhof erinnert.
Judasbäume sieht man auch in Spanien viel, das ist beeindruckend, sie im Frühjahr zu erleben.
VG
Elke
Hochinterressant! Bin begeistert, das Lale-Festival steht auf meiner Wunschliste.
Prima, ich hoffe, es klappt. LG Wurzerl