8 Warum Granatäpfel rot werden

Granatapfel-Baum, LATÜT-Kunst

Es ist spät im Vorwinter, die Fröste sind oft schon schneidend kalt und die Dezembernebel liegen schwer über den abgeernteten Feldern. Manchmal schleichen sie sich sogar in Wurzerls Garten, dann drängen sich die Bewohner im Wintergarten noch enger zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen und Mut zuzusprechen. Auch die Blumenelfe und der Zwobel verbringen die kältesten Wochen des Jahres in Wurzerls Wintergarten.  Die Pflanzen, die im Garten überwintern haben gut vorgesorgt. Die Bäume haben ihre bunten Herbstblätter über ihre Wurzeln geworfen, da finden jetzt viele Kleintiere ein warmes Winterquartier. Stauden und Zwiebelpflanzen sind zum Großteil unter die Erdoberfläche gewandert, um dort nach ihrem Nachwuchs zu sehen. So sieht der Garten gerade im ersten Winter-Nebel für das Wurzerl immer etwas traurig aus.

Das macht Wurzerl etwas trübsinnig und so fährt sie heute kurzerhand in die große Stadt auf den Viktualienmarkt und sieht sich nach etwas Sonnigem um, was ihre Laune heben könnte. Typisch ist, dass sie zwar fröhliche Blumenkinder entdeckt, die sich trotzig in die karge Dezember-Sonne strecken, aber angezogen fühlt sie sich von einem Granatapfel-Bäumchen, das sich in der Kälte  duckt und dessen Blüten reihenweise abfallen,  so dass  nur noch einige grüne, kleine Granatäpfelchen am verfrorenen Bäumchen vor sich hin zittern. Das Bäumchen kommt von weit her und erträgt keine Kälte.

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In Wurzerls Wintergarten, LATÜT-Kunst

So wandert also ein weiterer Wärme-Süchtling mit Wurzerl nach Hause in den Wintergarten. Als die Orchideen, Bromelien und Kübelpflanzen das zitternde Etwas sehen, sind sie etwas enttäuscht. Dieses vor Kälte klappernde Ding sieht ja nicht sehr unterhaltsam aus. Doch kaum ist das Granatapfel-Bäumchen im Wintergarten an einem hellen Platz angekommen und aufgewärmt, da sprudelt es nur so aus ihm heraus und es ist ein wunderbarer Unterhalter für alle Bewohner und Blumenkinder in der stillen Adventszeit.

„Wo kommst Du eigentlich her?“ fragt das neugierige Tillandsien-Mädchen. „Aus Indien!“, antwortet der Granatapfel, dort gibt es keinen Winter, es ist immer heiß und oft sogar heiß und feucht. Außer dem Wurzerl kennt keiner im Wintergarten Indien und so fragt der Zwobel, ob der Granatapfel nicht etwas mehr über dieses ferne Land erzählen kann. Da lässt sich das Bäumchen nicht lange bitten, und es erzählt die wundersame Mär seiner Vorfahren aus Indien:

“Es war einmal ein indischer Maharadscha, der ritt eines Tages in seinen kostbaren Roben, mit einem diamantgeschmückten Dolch, einer wunderbaren gestickten Schabracke auf dem edelsten und  feurigsten Rappen, begleitet von schnellen Windhunden und den besten Falken des Landes, auf die Jagd. Als er an einen Fluss kam, sah er ein unvergleichlich schönes Mädchen. Gebannt betrachtete er ihre schlanke Gestalt und sah mit Wohlgefallen, wie sie anmutig für ihre Familie Wasser in einen einfachen Tonkrug schöpfte.

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Indisches Mädchen beim Wasserholen, LATÜT-Kunst

Sie sah dem Maharadscha mit offenen rehbraunen Augen furchtlos entgegen und bewunderte sein schönes Pferd und die lebhaften Hunde. „Ich möchte Dich mitnehmen und heiraten“, erklärte der stolze Mann ohne Umschweife, denn er war es gewohnt zu befehlen. Das Mädchen sah ihn lange an und sagte dann: “Du willst mich nur besitzen, weil ich schön bin. Ich werde aber nur den Mann heiraten, der mich wirklich liebt.“ Sie wandte sich um, und ging in die ärmliche Behausung ihrer Familie, um ihrer Mutter das Wasser zum Kochen zu bringen. Der Maharadscha war zuerst verblüfft, dann merkte er, dass er ohne dieses Mädchen nicht mehr leben wollte. Er hatte sich hoffnungslos verliebt. Er ging in die Hütte und fragte die Schöne: “Wie kann ich Dir beweisen, dass ich Dich liebe?“ „Bau mir einen Garten, der nachts so schön ist, wie am Tag, dann folge ich Dir auf Dein Schloss“ antwortete das Mädchen, ohne zu überlegen.

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Der Maharadscha und das schöne Mädchen, LATÜT-Kunst

Der Maharadscha rief daraufhin alle seine Weisen zu sich und ließ sich beraten. Jeder hatte eine Idee und schließlich war ein Plan erstellt. Die Mitte des Nacht-Gartens wurde als Senkgarten gebaut. Er lag etwas tiefer als die schützende Mauer rund herum, so dass der Nachtwind keinen Zugang fand. Lauter weißblühende, silberlaubige Blumen standen  in diesem Gartenteil, weil sie sogar nachts leuchten konnten und im milden Mondschein ganz wunderherrlich aussahen. Um den Senkgarten herum gab es noch fünf quadratische Gänge mit Hochbeeten, damit vor den Augen der künftigen Herrin und Maharani sich die erlesensten Pflanzen auffalten und ihre Düfte direkt in ihr kleines entzückendes Näschen schicken konnten. Und so leuchteten die weißen Blüten zur Hochzeit des Paares um die Wette und der Duft der dem Nachtgarten entströmte, ließ die Beiden in ewiger Liebe zueinander entbrennen.

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weißer Nachtgarten der Maharani, LATÜT-Kunst

Als die Maharani am nächsten Morgen in den Nacht-Garten ging, um die Hochzeitsgabe ihres Gatten auch bei Tageslicht zu sehen, da hörte man plötzlich ihr silberhelles Lachen. Ein kleiner Granatapfel, der nun gar keine weißen, sondern trichterförmige, hellrote Blüten hatte und grüne Äpfelchen ansetzte, hatte sich in den weißen Blütenreigen hineingeschmuggelt, um nur ja nicht die Hochzeit des Jahres zu verpassen. Als er sich nun von der Maharani ertappt fühlte, da schämte er sich so sehr, dass sich seine grünen Äpfelchen vor Verlegenheit flugs knallrot färbten. Und weil diese roten Granatäpfel dem Paar wie ein Zeichen ihrer Zuneigung erschienen, nannten sie sie Liebesäpfel und natürlich durfte der Granatapfel-Baum im weißen Nacht-Garten bleiben.”

 „Das ist eine tolle Geschichte, die hast Du aber fein erfunden“, ruft das Tillandsien-Mädchen voller Begeisterung. „Oder gibt es diese Liebesäpfel  etwa wirklich“?

„Aber ja, die Geschichte ist wahr, meine Ur-Ur-Ur-Großmutter war das vorwitzige Bäumchen in Indien“  erwidert das Granatapfel-Bäumchen  und – seine wenigen grünen Früchte werden vor Verlegenheit im nächsten Moment knallrot.

LATÜT-Illustrationen, Granatapfel-Baum

„Oooh“, haucht Wurzerl und der Zwobel, die Elfe und alle Wintergarten-Pflanzen strahlen! Jetzt sind richtige Liebesäpfelchen im Wintergarten eingezogen! Der ist gleich noch ein paar Grad wärmer geworden, weil ihm die Geschichte auch sehr gefällt und er keinesfalls möchte, dass die roten Äpfelchen noch einmal frieren müssen.

Da ist noch was!

Liebe MärchenfreundInnen, es war heute sehr schwer, passende Fotos für dieses Advent-Märchen zu finden. Denn, natürlich hat das Granatapfel-Bäumchen kein Fotoalbum mit in Wurzerls Wintergarten mitgebracht. Darum freue ich mich riesig, dass für dieses Märchen Karin Berends-Lüürßen mit ihrer LATÜT-Kunst eingesprungen ist und die Illustrationen für die Geschichte, die ja größtenteils in Indien spielt, gemalt hat. Vielen Dank liebe Karin für die schönen Bilder, die einfach sehr viel stimmungsvoller sind als Fotos.

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25 Kommentare

  • Nur bezaubernd, liebe Renate. Du hast aber auch immer wieder Ideen. Und mit den Zeichnungen von Frau Lüürßen ergibt es ein Gesamtkunstwerk. Man spürt Deine Liebe, die darin steckt. Ich freue mich auf weitere Geschichten. LG Brigitte.

    • Das Wurzerl sagt:

      Liebe Brigitte, es gibt ja inzwischen schon 8 Märchen, für alle Jahreszeiten mindestens eines, ich weiß nicht, ob Du die Indexseite der Blumenelfe und der Märchen schon entdeckt hast. Einen ruhigen, angenehmen Adventsonntag wünsche ich Dir. Wurzerl

    • Daniela Sauer sagt:

      Was für eine wundervolle Geschichte! Es ist so schön, wie du deine Märchen in Worte packst, dass ich jedesmal ganz rührselig werde, wenn ich wieder eine lesen darf😍
      Schönen ersten Advent 🎄🕯🎄✨🎄🕯🎄

  • Christa Schroth sagt:

    Wieder eine entzückende Geschichte aus der Feder einer sehr begabten Erzählerin

  • Hildegard Weyand sagt:

    Waeh die passenden Fotos von Karin..
    Ich sitze gerade gemütlich bei Kerzenschein und war ganz verzaubert..
    Die auch noch einen besinnlichen 1. Advent
    LG Hilgegard

    • Das Wurzerl sagt:

      Liebe Hildegard, das klingt gut, ja ich habe mich riesig gefreut, dass Karin die Illustrationen gestiftet hat. Euch eine gesunde schöne Adventszeit. Wurzerl

  • Christiane Hame sagt:

    Wie wunderschön! Ihr beide, eure Kunst und eure Gärten sind ein Gesamtkunstwerk. Liebe Grüße Christiane

    • Das Wurzerl sagt:

      Lach, Du weißt doch liebe Christiane, “s’Sach muaß zammbass’n.” In diesem Sinne einen schönen Advent und liebe Grüße vom Wurzerl

  • Barbara sagt:

    “Härzig” würden wir hier sagen zu deinem “herzigen” Märchen, das mir wiederum sehr gefällt. Ich habe meinen ersten echten Granatapfelbaum vor ein paar Jahren in Portugal gesehen und seitdem bin ich “verliebt” in die Frucht. Die Fruchtstände (Samen) sehen wunderschön aus. Liebe Grüsse, Barbara

    • Das Wurzerl sagt:

      Ach, das freut mich, dass es Dir gefällt. Zu Weihnachten zaubert die kleine Blumenelfe ein letztes Mal in diesem Jahr, dann macht sie einen langen Schönheitsschlaf. Herzlichst Wurzerl

  • Alla Möller sagt:

    Ich bin gerade aus dem schönen Traum erwacht, ein wunderschönes Märchen mit liebevollen Bilder. Vielen Dank und bitte mehr davon👏😇🕯

  • Erika Elferink sagt:

    Eine wunderschöne Geschichte mit einmaligen Bildern dazu. Einfach wunderbar!

    • Das Wurzerl sagt:

      Vielen Dank liebe Erika, das freut mich sehr, wenn die Geschichte und die Bilder gefallen haben. Ich wünsche Dir einen schönen Advent. Wurzerl

  • Andrea Herzog sagt:

    Wieder ganz zauberhaft liebe Renate. Die Zeichnungen von Karin passen ganz wunderbar. Dir noch eine schöne Vorweihnachtszeit. Liebe Grüße Andrea

  • Renate es ist wunderschön geworden… Durch deine Märchen sind meine Bilder erst möglich geworden… meine Bildsprache mit deiner Sprache des Erzählers ergeben dieses schöne Ergebnis… Ich freue mich über die vielen schönen Kommentare von Allen… Und sag einfach DANKESCHÖN!!!

    • Das Wurzerl sagt:

      Liebe Karin, ja, das denke ich auch, das ist eine schöne Symbiose, über die wir weiter nachdenken sollten. Ich bin Dir auch sehr dankbar, dass Du Dich auf diese neue Art der Illustrations-Malerei eingelassen hast. LG Wurzerl.

  • Liebe Renate, wieder mal ein wunderschönes Märchen.Ich bin schon gespannt auf das nächste.

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