Es ist Sommer geworden und die Blumenwelt in Wurzerls Garten strahlt mit der Sonne um die Wette. Die Schmetterlinge, Libellen und viele andere Insekten fliegen geschäftig über den Teich. Bei seinen wenigen Ausflügen an die Wasseroberfläche beobachtet Tönnchen dieses fröhliche Treiben in immer kürzer werdenden Abständen. Häufig taucht er auf und fragt den Igel nach der Welt “da draußen”? Mit ihm unterhält er sich besonders gerne, denn er hält ihn für einen sehr wichtigen, imposanten Garten-Bewohner, der eine absolute “Spitzen”-Stellung einnimmt. Darum ist ihm seine Meinung am allerwichtigsten, was den Frosch wiederum eifersüchtig macht.
Der Igel kann doch gar nichts, weder fliegen, noch tauchen, er frisst doch nur oder schläft. An das Wasser geht der Igel auch nur zum Trinken, wo ihn dann Tönnchen auch anredet. Der Frosch hält sich jedenfalls für viel klüger, was die “Weltlage” betrifft.
Tönnchen wird immer unruhiger und spürt, dass seine Flügel, die er ja im Frühling der Blumenelfe überlassen hat, bereits jetzt nachgewachsen sind. Als er zum ersten Mal eine Pracht-Libelle fliegen sieht, die wie ein Smaragd-Edelstein durch die Luft flitzt, wird er melancholisch.
Tönnchens Kumpel, der Gelbrandkäfer, merkt dieses ungewohnte Verhalten und schleppt ihm die besten Leckereien herbei. Aber da beißt Tönnchen nur lustlos hinein und erzählen mag er auch nicht. „Was ist los mit Dir?“ fragt der Käfer schließlich. Er ist es leid, vom sonst so redseligen und lustigen Tönnchen angeschwiegen zu werden. „Ach!“ seufzt dieser: „ich frage mich manchmal, ob meine Flügel inzwischen schon so weit nachgewachsen sind, dass ich losfliegen könnte? Ich würde so schrecklich gerne nur ein einziges Mal den Garten von oben sehen.“
Der Gelbrandkäfer erschrickt. Was ist das? Sein Freund will ihn verlassen? Soll er nie mehr eine der wunderbaren Geschichten vom Tönnchen hören.? Jetzt sitzen sie Beide ganz wortkarg unten am Teichgrund und nagen lustlos an einem Spinnenbein herum. „Wie ist das – fliegen?“ fragt Tönnchen unvermittelt den Käfer. Da muss dieser zugeben, dass das etwas ganz wunderbares ist. Der Gelbrandkäfer taucht und fliegt, wie es ihm gefällt, er ist sowohl im Wasser als auch in der Luft zuhause. Er weiß, was Tönnchen nicht ahnt: wenn dieser sich von der Larve zur Libelle verwandelt hat und losfliegt, wird er nie mehr in den Teich zurückkommen können. Gerade jetzt setzt sich auch noch ein wunderschöner Vierfleck auf eine rosa Blütenkerze am Teich-Rand und schillert in der Sonne bis auf den Teichgrund.
Der Käfer spürt, dass die Zeit des Abschieds naht und weil er wirklich ein guter Freund ist, macht er dem Tönnchen einen Vorschlag: „Pass auf, Du erzählst mir jetzt noch eine allerletzte neue Geschichte, danach zeige ich Dir, wie man fliegt. “Tönnchen überlegt nicht lange und erzählt dem Gelbrandkäfer die letzte Geschichte:
“Wie der Bergmolch in den Teich kam”.
„Wurzerls Nachbar hatte vom Förster Holz für seinen Kachelofen gekauft und es aus dem Wald nach Hause gebracht. Auf einer der angenehm kühlen, moosfeuchten Rinden schlief ein kleiner Molchjunge und gelangte so mit dem Holz in den Nachbargarten. Er merkte das erst, als das Holzstück vom Traktor-Anhänger ins Gras geworfen und er damit unsanft geweckt wurde. Sein heimischer Wald war viele Kilometer weg. Autostraßen, gefräßige Tiere und viele andere Gefahren trennten ihn von seinem Zuhause und seiner Familie.
Als der kleine Molch ein paar Meter entfernt einen riesigen Hund liegen sah, da geriet er in Panik und rannte auf seinen kurzen Beinchen völlig entsetzt, so schnell er konnte, davon. Gerade dadurch aber entdeckte ihn der Nachbar-Hund “Burli” und lief auf ihn zu. Unsere Blumenelfe hatte das sich abzeichnende Drama beobachtet und winkte den Molch eifrig in ihre Richtung zum Zaun von unserem Garten. Um den “Burli” abzulenken, flog sie ihm heldenhaft vor die Schnauze, kitzelte ihn da und kehrte mit einem silberhellen Lachen in ihr Flieder-Schloss zurück.
Schwupps, der Molch-Junge, hatte sich inzwischen in einer Öffnung unter einem flachen Stein am Grunde des Teiches in Sicherheit gebracht. Er war mutterseelenallein, der erste und einzige Molch in Wurzerls Garten. Er tat mir so schrecklich leid,“ sagte Tönnchen und fuhr fort: „Der kleine Schwupps war eingeschüchtert, ängstlich und einsam, ich konnte dieses Elend nicht ertragen. Kurz darauf saß der Zwobel auf einem kleinen Stein am Teich. Ich erzählte ihm von der Rettungsaktion der Blumenelfe und fragte ihn, ob er für Schwupps keine Freundin wüsste? Der Zwobel überlegte kurz, grinste dann breit und meinte, das wäre doch ein Spaß, den er sich nicht entgehen lassen könne. Was er plante, wollte er mir aber nicht verraten. Am gleichen Nachmittag sah ich ihn auf den Traktor des Nachbarn springen, als dieser noch einmal in den Wald fuhr, um eine letzte Fuhre Holz zu holen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, da saß doch in meiner unmittelbaren Nähe Fräulein Bergmolch. Das Fräulein erzählte mir, sie sei mit dem Zwobel Traktor gefahren, weil er ihr einen türkisfarbenen Schatz versprochen hätte. Aber jetzt sei der Zwobel weg und es gibt gar keinen Schatz!
Just in diesem Moment wurde sie von Schwupps erspäht. Er wurde von so einem großen Glücksgefühl überwältigt, dass er dachte, gleich platzen zu müssen. Eine Artgenossin, und so eine hübsche, endlich war er nicht mehr alleine! Vor Begeisterung blieb ihm die Luft so arg weg, dass er ganz blau anlief und als er sich dem Molch-Weibchen schwänzelnd näherte, war er wunderschön türkis gefärbt.
Er funkelte unter Wasser wie ein Edelstein und Fräulein Molch verliebte sich auf der Stelle in den Schwupps. Die Posthornschnecke blies den Hochzeits-Marsch und es gab die erste Blitz-Hochzeit im Teich. Später kamen die ersten Babies und jetzt leben schon 7 Bergmolche hier bei uns.“
Der Gelbrandkäfer ist tief berührt. Das war also die allerletzte Geschichte von seinem besten Freund! Nun soll er ihm also das Fliegen beibringen. Langsam schwimmen die Zwei zur Wasseroberfläche hoch. Tönnchen wird ganz mulmig im Magen, er ist traurig. Auch er spürt jetzt, dass das kein Ausflug, sondern ein Abschied für immer ist.
Er erinnert sich plötzlich an eine hübsche Libellen-Larve, aus der eine wunderschöne rote Libelle wurde, sie flog eines Tages weg und kam nie zurück zu ihm. Dem Gelbrandkäfer spuken hunderte Geschichten vom Tönnchen durch den Kopf, die er in den beiden letzten Jahren erzählt hatte und als er aus dem Wasser auftaucht und für ihn eine geeignete Startbahn sucht, da hat er ganz feuchte Augen. Eine der Wasserpflanzen sieht so stabil aus, dass sie zum Schlüpfen auserkoren wird. Sie klettern also das schmale Blatt hoch und es sieht so aus, als würden Matrosen auf einem Schiffsmast nach oben steigen, um in den Ausguck zu gelangen – ein wenig schwanken tut es auch!
Der Gelbrandkäfer sagt zum Tönnchen, er solle ihm jetzt einfach alles nachmachen. Dann fängt er an zu pumpen und die Flügel auszubreiten und damit Tönnchen nicht sieht, wie traurig er ist, fliegt er schnell davon. Tönnchen will auch pumpen, aber irgend etwas behindert ihn, da schwirrt der Käfer noch einmal über ihn hinweg und ruft hinunter: „Du musst vor dem Pumpen natürlich Deinen Taucheranzug ausziehen!“ Also fängt Tönnchen an, aus der hautengen Hülle herauszukrabbeln, er ist etwas ungeschickt und hängt kopfüber, bekommt kurz Angst, halb ausgezogen in das Wasser zu fallen, aber nach einer langen Weile schafft er es. Der Taucheranzug sieht aus wie Tönnchen, ist aber nur noch eine leere Hülle. Tönnchen krabbelt auf die Spitze einer Segge und blickt verträumt um sich. Zum ersten Mal in seinem Leben sieht er Seerosen-Blüten. Er kannte bisher nur ihre Blätter von unten.
Dann beginnt er zu pumpen und zu pumpen und zu pumpen! Plötzlich fangen seine schrumpeligen Flügel an, sich aufzufalten, werden länger, kleinste Äderchen füllen sich mit Blut und Sauerstoff und die filigranen, jetzt ganz eleganten, langen Flügel irisieren in der Sonne und … Tönnchen weiß später nicht mehr, wie es geschehen ist, plötzlich beginnt er zu fliegen. Er schaut sich in allen Ecken des Gartens um, sieht endlich das Lotos-Blatt, das im Sommer der Blumenelfe zum Baden dient, schaut noch einmal nachdenklich auf den Teich, der ein paar Jahre sein Zuhause war und fliegt dann in die weite Welt hinaus.
2 Kommentare
du schreibst wunderschöne Märchen. Ich hatte sie mit ja schon alle gespeichert, wie ich dir schrieb. Es fehlen aber noch 3. Du hast ja schon ein neues Märchen angekündigt, auf das ich schon sehr gespannt bin. Liebe Grüße Erika. Ps. Du hast dir hier eine ganz tolle Seite erschaffen, ich habe sie mir gleich unter Favoriten gespechert. Mach weiter so!!!
Liebe Erika,
vielen Dank, ich freue mich sehr, dass Dir die Märchen so gefallen. Ich wollte zwar die wichtigen Märchen Prolog 0 – 5 Wie das Tönnchen fliegen lernte in der richtigen Reihenfolge haben, damit man die Protagonisten im Garten kennt. Aber dann zwischendurch auch endlich etwas Neues schreiben, was jetzt auch in die Jahreszeit passt. Und wie schon in der anderen Antwort geschrieben, es gibt jetzt glücklicherweise endlich den Beginn der Märchen, das muss natürlich bald nachgeliefert werden. Die Zahl eins wird dann also ausgetauscht.
LG Wurzerl