Eines Tages landet ein weitgereister Geselle auf dem kleinen Tisch im Rosenrondell. Wie so oft sitzt Wurzerl mit Stift und Notizblock dort und schreibt auf, was sie im Garten alles beobachtet. “Ei, was bist Du denn für ein nettes Heupferdchen” fragt Wurzerl belustigt. “Ich bin kein Pferd, ich bin Hops, der Grashüpfer” schnaubt das Heupferdchen empört “und ich springe am höchsten und weitesten von allen meinen Verwandten.” Wurzerl betrachtet den lustigen Gesellen amüsiert und fragt ihn ein wenig aus. Wo er denn herkäme? Wo er hinwolle? Warum er in Wurzerls Garten gekommen sei – und so weiter und so fort? Hops antwortet sofort ohne zu zögern, ohne Punkt und Komma und ohne Luft zu holen: „Ich komme von einer Blumenwiese mindestens 100000 Sprünge von hier und habe somit schon fast die ganze Welt gesehen. Ich bin unzufrieden und auf der Suche nach dem ganz großen Glück! Ein Schmetterling erzählte mir, ich würde es in Wurzerls Garten finden und darum bin ich gekommen!”, endet er und schaut Wurzerl erwartungsvoll an.
Wurzerl horcht interessiert auf, als sie hört, dass Hops in einer wunderschönen Blumenwiese gelebt hat – lebt man da nicht im Glück? Es muss wohl an Hops liegen, er scheint mit sich selbst zu hadern, also lädt Wurzerl ihn ein, doch im Garten zu verweilen, solange er möchte und sich mit allen Tieren und Pflanzen zu unterhalten. Denn hier lebten wirklich alle Bewohner glücklich und zufrieden zusammen. Der Grashüpfer lässt sich das nicht zweimal sagen, springt vom Tisch und hüpft erst einmal zum Teichrand, um einen Schluck Wasser zu nehmen und sich dann auf einem Stein zu sonnen.
Die Seerose winkt ihm zu und begrüßt ihn freundlich. Hops fragt die Seerose sofort, ob sie glücklich sei? Da lacht diese und wiederholt, was Wurzerl schon sagte, dass Alle die hier im Garten leben glücklich sind und fragt dann höflich, wie denn der Vorname des Herrn Heupferdes wäre. Ups, da hat er sofort wieder schlechte Laune und ist unglücklich, schon zum 2. Mal hat ihn heute jemand “Pferd” genannt! Da vergisst er doch glatt seine höfliche Kinderstube und behält seinen Namen für sich.
Da er so schlechte Laune hat, will er die auch gleich im Garten weiter verbreiten, um sich abzureagieren. Zur Schnecke sagt er darum sehr schnippisch, sie könne ja wohl nicht glücklich sein, wenn sie tagaus, tagein ihr Haus auf dem Rücken mitschleppen muss? Diese ist ganz erstaunt und erklärt Hops auf ihre bedächtig langsame Art, es wäre doch sehr praktisch, wenn man sein Zuhause immer gleich parat hat. Was man alleine an Energie für das tägliche “Pendeln” sparen würde, wäre wirklich ganz enorm.
Zu einem Schmetterling gewandt meint er, dass es doch schade sei, dass die Flügel so zerfranst aussähen, ob er darüber nicht unglücklich sei? Beinahe empört erklärt ihm der kleine Flattermann, dass er erstens nach der neuesten Mode gekleidet sei und außerdem sogar seine Visitenkarte direkt an der Unterseite der Flügel trage. Auf den unverständigen Blick des Heupferdchens hin meint er nur jovial: “Gestatten, mein Name ist C-Falter und genau dieses “C” habe ich auf meinen Flügeln, die im übrigen völlig ok sind”. Natürlich klappt er die Flügel im gleichen Moment zu, damit sich Hops davon überzeugen kann, was für ein wichtiger Gartenbewohner der C-Falter ist. Besäße Hops einen Computer, dann wüsste er, dass er gerade mit einem Influencer gesprochen hat.
Beim Lampenputzergras denkt sich Hops eine neue Strategie aus. „Ist es nicht traurig, dass Du niemals schöne, bunte, duftende Blüten bekommst und Dich keiner beachtet?“ Auch das Gras ist verwundert über so eine seltsame Frage und fängt lauthals zu lachen an, dass ihm die Tränen nur so über die Ähre kullern.
Gerade dieses Schmuckgras ist ein großer Liebling von Allen im Garten. Ist es ein Zufall, dass die Sonne ihre Spät-Nachmittagsstrahlen zum Gras sendet, so dass die Lachtränen wie Diamanten aufleuchten? Um Hops zu beweisen, wie glücklich es ist, zieht es aus seinem Wurzelfach ein Foto von einer Familienfeier vom vergangenen Herbst heraus. Die blühenden Ähren der ganzen Familie sind da im Gegenlicht der Sonne versammelt.
Hm, jetzt will es Hops aber wissen, er schaut sich um und entdeckt den Zwobel, gerade als der zum Teich marschiert, um sich den Rücken zu schrubben. Den Zwobel fragt der Grashüpfer nun direkt, warum er glücklich sei? Der mustert ihn ein wenig, dann erzählt er ihm die Geschichte, wie er einst, unzufrieden mit sich und der Welt, viel Unsinn, auch hier im Garten angestellt habe. Als Hops erfährt, dass der Zwobel nach seinen bösen Ballspielen mit den kleinen Wurzeln nicht nur trotzdem im Garten bleiben durfte, sondern inzwischen sogar ein guter Freund vom Wurzerl und der Blumenelfe geworden ist, da wird das Heupferdchen sehr nachdenklich.
Am nächsten Morgen kommt Wurzerl zurück in den Garten. Ihre braunen Augen mit den bernsteinfarbenen Sternen darin und den lachenden Grübchen verbreiten wie immer gute Laune. Als Wurzerl den grüblerischen Hops entdeckt und fragt, wie es ihm gefällt, da mault er etwas unhöflich, dass es nicht nett war, dass Wurzerl und die Seerose ihn “Heupferd” genannt haben. „Woher kennst Du eigentlich Pferde und was hast Du gegen sie?“ fragt ihn Wurzerl. Oh, das ist genau sein Thema! Eifrig berichtet er von seiner Begegnung mit einem großen, schweren Kaltblüter-Pferd, das aus einem Wald die Stämme der gefällten Bäume herausziehen musste. Versehentlich hatte das Pferd bei seiner Arbeit die Angebetene von Hops, eine goldbraunfarbige Grashüpfer-Dame, so arg mit dem Huf erwischt, dass sie das Zeitliche segnete. Auch die Wildblumenwiese wurde vom Pferd zertrampelt. Und genau darum ist “Heupferd” für Hops nicht nur eine traurige Bezeichnung, sondern weil er das große, schwere Pferd als Trampel empfindet, auch eine Beleidigung!
Da lädt Wurzerl Hops ein, auf ihrer Schulter Platz zu nehmen und die Beiden radeln in den Nachbarort. Da stehen viele Autos mit Anhängern. Die Wiesen sind platt gefahren und im Schatten der Hänger stehen Pferde und ruhen sich aus. Neben dem Parkplatz ist ein abgesperrtes großes Rasenstück und dort sind mehrere Hindernisse in verschiedenen Höhen und Abständen aufgebaut. Wurzerl stellt sich zu den anderen Zuschauern, aber so, dass Hops alles genau sehen kann. Dann kommt auch schon ein wunderschöner Apfelschimmel angetänzelt und springt hoch und elegant über alle aufgebauten Hürden. Am Ende des Parcours wiehert er freudig, weil er gar keinen Fehler gemacht hat und sein Reiter ihn sehr lobt. So schauen Wurzerl und Hops eine Weile bei diesem Springreiten zu und das Heupferdchen kommt sich immer kleiner vor.
Dann wird der letzte Reiter aufgerufen. Er hat ein ganz wunderbares Pferd, genauso goldbraun wie Hops ehemalige Liebste und Wurzerl sagt: „Schau, dieser herrliche Hengst sieht mit seiner Farbe fast so schön aus wie ein Heupferdchen, er springt bestimmt fast so gut wie Du“! Das läuft beim Hops herunter wie Öl. Er hatte ja gar keine Ahnung wie wunderschön und elegant Pferde sein können. Als dieses Pferd dann auch noch fehlerfrei durch den Parcour kommt und die schnellste Zeit hat, da ist Hops hin und weg. Und… hat er das richtig mitgekriegt, dass der goldbraune Hengst, beim Verlassen des Spring-Parcours ausgerechnet ihm, dem kleinen Grashüpfer, freundlich zugezwinkert hat?
Wieder zuhause in Wurzerls Garten angekommen wirft sich Hops in die Brust und verkündet laut. „Ich weiß jetzt warum Ihr Alle glücklich seid – Ihr seid Alle zufrieden mit Euch und Eurem Leben, so einfach ist das und ich merke mehr und mehr, dass ich das auch sein kann. Es ist die Zufriedenheit, die uns oft ein kleines Glück beschert und aus vielem kleinem Glück wird insgesamt ein Großes. Wenn ich darf, würde ich gerne eine Weile bei Euch leben, auch wenn natürlicherweise die große weite Welt auf mich wartet. Und – Ihr dürft künftig auch gerne Heupferdchen zu mir sagen“ – und hops, landet er in Wurzerls Wasserglas, weil er jetzt dringend eine Abkühlung braucht. So eine lange Rede hat er schließlich noch nie gehalten.
Später fällt Hops ein, dass auch ein ausgewogenes “Geben und Nehmen” mit Zufriedenheit und Glück zu tun haben. Also gibt er gleich noch eine erste romantische Abend-Serenade für alle Garten-Bewohner zum besten. Und – weil das Heupferdchen nun sein Glück gefunden hat, zieht es ihn auch gar nicht mehr in die große, weite Welt hinaus. Er hält lieber sein kleines Glück in Wurzerls Garten fest und freut sich, dass ihn alle lieben und so respektieren wie er ist. Hops ist rundum zufrieden! Als ihn plötzlich nach einem seiner fulminanten Abend-Konzerte von einer Sonnenhut-Blüte herab eine kleine goldgrüne Grashüpfer-Lady schelmisch anlächelt, da wird ihm ganz schummerig und er murmelt überwältigt: “Das muss jetzt aber das ganz große Glück sein!”
20 Kommentare
Oh das ist sooo süß. Eine entzückende Geschichte.
Oh, da freuen sich jetzt aber das Wurzerl, der Zwobel und die Blumenelfe und natürlich auch Hops, das Heupferdchen, dass Du sie magst. (Pst, nicht weitersagen, ich mag die Bande auch sehr, darum gibt es auch ein ganzes Märchenbuch nur für Wurzerlsgarten).
LG Wurzerl
Das ist eine allerliebste Geschichte, die ich am Wochenende meinen Enkeln vorlesen werde. Wenn wir Glück haben, sehen wir vorher noch ein Heupferdchen auf der Wiese….
Oh, das klingt ja super, jetzt ist eine günstige Zeit die kleinen “Hopser” zu beobachten. Darum ist es auch ein Herbstmärchen geworden. Viel Spaß bei der Suche. LG Wurzerl
Liebe Renate, du solltest deine schönen Geschichten in einem Buch veröffentlichen. Sie sind alle so schön und auch spannend.
Vielen Dank liebe Gertrud, warten wir mal ab, ob ein Verlag das auch denkt. Oder ich spiele doch mal Lotto, lach, dann kann ich es im Eigenverlag machen. Ich wünsche Dir noch einen schönen Tag und Abend. LG Wurzerl
So eine zauberhafte Geschichte. Schade daß mein Kind schon sooo groß ist. Ich hätte sie ihm als Gute Nacht Geschichte vorgelesen 🥰
Sehr nett, ich denke, die kann sich auch Frau gönnen – muss ja nicht vor dem Schlafengehen sein, lach. LG Wurzerl
Liebe Renate, wie Du schon gesagt hast, kenne ich das Märchen schon, aber ich finde es sowieso sehr schön, und es besitzt viel Lebensweisheit, an die sich auch die Menschen halten sollten. Ich hoffe, dass das Wurzerl, die Blumenelfe und der Zwobel mit allen anderen noch lange glücklich und gesund in ihrem Paradies weiter leben, und es noch viele schöne Geschichten von ihnen gibt Liebe Grüße Erika
Danke Du Liebe, mehr würde ich mir auch nicht wünschen. Gerade als sich das Märchen heute freigeschaltet hat, ist mir ein Neues für die Weihnachtszeit eingefallen. Da geht es unter anderem um die Klimaveränderung – wie das zu Weihnachten passt? Lass Dich überraschen. Ich wünsche Dir einen guten Wochenendspurt. LG Wurzerl
Was für ein schöne Geschichte, heupferde mag ich sehr gern, ich muss mich nur noch in der Artbestimmung üben.
Viele Grüße
Elke
Liebe Elke, Du schriebst ja, dass Du mehr über die Tiere in meinem Garten erfahren möchtest. Dann hat das ja gepasst. Mit der Bestimmung habe ich eigentlich bei fast allen Kleinwuslern Probleme – Wildbienen, Libellen usw.. Aber außer Mücken und Zecken mag ich eigentlich alles. Bei denen frage ich mich immer, wo die Sinnfrage der Evolution angesetzt hat. Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende. LG Wurzerl
Was für eine tiefgründige und sinnvolle Geschichte, die einen zum Erinnern und Nachdenken ,,zwingt,,. Als Kinder haben wir in den Heuwiesen oft versucht, die schönen Hüpfer zu fangen. Vergebens, sie suchen sich ihre Gastgeber selber aus, z.B. in Wurzels Garten.
Vielen Dank und den Bewohnern einen schönen Herbst.
Oh, liebe Alla, in Kasteel Hex habe ich mehrere grüne Heuschrecken gefunden, die waren dreimal so groß wie Hops. Da war ich schon beeindruckt. LG Wurzerl
So ein schönes Märchen.
Danke liebe Christa, Dir einen schönen Abend. Wurzerl
Eine wunderbare,amüsante Geschichte,hat uns sehr gefallen.
Oh, wie schön, das freut mich sehr, so habe ich auch einen glücklichen Abend, wenn es Euch Freude gemacht hat. Ich wünsche einen guten Sonntag. LG Wurzerl
Ach, was für eine schöne und liebevolle, sogar spannende Geschichte über die Begegnung aber auch Deine fast Freundschaft mit dem „Heupferd“ in herrlichen Worte.
Vielen Dank liebe Aiko, wünsche Dir eine wunderschöne Adventszeit, mit vielen freundschaftlichen Begegnungen. LG Wurzerl.