Herr Haselnuss ist ein unauffälliger Strauch, den Alle in Wurzerls Garten sehr mögen. Es gibt für ihn nichts schöneres, als den kleinen Frühlings-Blühern zuzusehen, wie sie den Boden nach und nach mit ihren bunten Farbtupfern überziehen. Dann schmunzelt der Strauch jedes Mal hocherfreut und meint zu den kleinen Blümchen gewandt: „Hallo, schön dass Ihr auch wieder da seid.“
An die Frühlingsknotenblumen wendet er sich jährlich mit der Bitte, doch daran zu denken, dass er seinen Mittagsschlaf braucht und sie in dieser Zeit doch nicht so laut läuten sollen. Die Leberblümchen und die Frühlingsknotenblumen lächeln jedes Jahr nachsichtig, weil der Haselbusch das ja in jedem Frühjahr wiederholt.
Doch was ist bloß in diesem Jahr los? Herr Hasel bietet seinen kleinen Freunden nur ein freudloses, mageres Willkommen. Da stecken die Blumen die Köpfchen zusammen und fragen sich leise wispernd, was das zu bedeuten hätte? Der Haselbusch seufzt derweilen fast unhörbar vor sich hin.
Die kleine Kohlmeise, die sich gerade auf der Terrasse mit der kleinen Türkiskatze unterhalten hat, hat das alles mitbekommen. Etwas wichtigtuerisch kommt sie angeflogen und piepst den Blumen zu: „Was wird schon sein, der Haselstrauch ist jetzt erwachsen und fühlt sich sicher einsam hier.“ „Einsam? – Aber er hat doch uns!“ meint etwas pikiert die Frühlingsknotenblume. „Erwachsen?“ staunt das kleine Leberblümchen, „aber Herr Hasel ist doch schon seit Jahren so riesengroß!“ Da lacht die Kohlmeise und erklärt ganz weltmännisch, dass der Strauch noch gut zwei Meter an Höhe zulegen könne. Sie hat im übernächsten Garten nämlich einen viel höheren Haselbusch gesehen. Schon flattert der kleine Vogel weiter, um die Neuigkeit, dass Herr Hasel erwachsen geworden sei und sich einsam fühle, überall zu verbreiten. Und wie um die Meise zu bestätigen, überzieht sich der Haselbusch mit ockerfarbenen Würstchen, die sich vom blauen Himmel zwar wunderbar abheben, aber doch etwas melancholisch nach unten hängen.
Die Meise ist am Insektenhotel angekommen. Dort sonnt sich das Türkentauben-Pärchen auf dem Dach der “Pension Wurzerl”, in der Wildbienen und im Separee eine Hummelkönigin wohnen. Das Paar versteht die Not von Herrn Hasel sehr gut. Bereits seit vier Jahren sind die Täubchen zusammen und ineinander verliebt wie am ersten Tag. Darum nicken sie nur verständnisvoll, als die Meise ihre Neuigkeiten loslässt.
Und wieder sind die Blumen am flüstern. Es gefällt ihnen gar nicht, dass Herr Hasel offensichtlich unglücklich ist. Da gibt sich das Leberblümchen einen Ruck und wendet sich an den Busch: „Weißt Du eigentlich, lieber Herr Hasel, dass es zwei Gärten weiter noch einen viel größeren Haselstrauch gibt, als Du es bist?“ Statt einer Antwort seufzt Herr Hasel nur noch lauter. Die Frühlingsknotenblume hat schnell gemerkt, dass dieser Satz des Leberblümchens äußerst ungeschickt war. Schließlich kann Herr Hasel doch nicht über den Zaun springen. Inzwischen ist die Meise von ihrem Rundflug zurückgekommen und es gibt niemanden mehr im Garten, der über das Befinden vom Haselbusch nicht Bescheid weiß.
Die Blumenelfe, der Zwobel und Wurzerl wissen momentan auch nicht, was zu tun sei, aber ein trauriger Strauch in Wurzerls Garten, nein, das geht doch gar nicht. Da bittet Wurzerl kurzerhand die Meise, doch einfach einen Besuch bei Frau Hasel in der Nachbarschaft zu machen und die Lage zu sondieren. Aber zuerst muss die Meise doch den Haselbusch informieren. „Ich möchte zu Frau Hasel fliegen und einen schönen Gruß von Dir bestellen, ist Dir das recht?“ schlägt der kleine Vogel eifrig vor. Natürlich ist es recht!!!
Erst wird noch etwas Proviant im Futterhaus gemampft, dann fliegt die Kohlmeise davon. Der Haselbusch, der ganz zu seufzen vergisst, das Leberblümchen und die Frühlingsknotenblume sind so sehr gespannt auf die Rückkehr der Meise. Geschwind ist sie wieder da: „Frau Hasel ist ganz begeistert. Sie wusste nicht, dass es dich gibt und grüßt herzlich zurück.“ Wie schön, dass die Meise noch keine Jungen hat. So hat sie viel Zeit und kann noch oft an diesem und weiteren Tagen hin- und herfliegen und Grüße, Küsse und später sogar Liebesschwüre überbringen. Die beiden Haselbüsche sind jetzt ein Liebespaar! Sie vermissen nur, dass sie sich nicht umarmen können.
Die Blumenelfe hat natürlich alles mitbekommen. Anfangs war sie über die Dialoge zwischen dem Strauch, den Blumen und der Meise amüsiert, doch inzwischen taten ihr die beiden verliebten Hasel richtig leid. Eine Blumenelfe muss da einfach eingreifen, doch wie? Die Elfe findet schnell eine geeignete Lösung. Sie blickt zum Himmel hinauf und ruft eine klitzekleine Wolke herbei. „Bitte liebe Wolke, ich brauche ein lindes Frühlingslüftchen für einen Transport in den übernächsten Garten.“ Die klitzekleine Wolke senkt sich zustimmend und die kleine Elfe kitzelt sie unter dem Bäuchlein, da muss das Wölkchen aber laut losprustend lachen und schon bewegen sich die dünnen Zweige des Haselbusches. Da geschieht ein kleines Wunder. Die kleinen ockergelben Würstchen, die am Haselbusch hängen, öffnen sich wie auf Kommando und winziger, goldener Blütenstaub springt heraus und wirft sich jauchzend in das Lüftchen hinein und fliegt davon. So gelangen die kleinen Liebesboten direkt in den Garten von Frau Hasel. Diese öffnet ihre kleinen roten Blütchen ganz weit, um den Goldstaub willkommen zu heißen und die Liebesboten zu umarmen.
Die Meise lässt vor Aufregung das Hälmchen fallen, mit dem es eben den Nestbau beginnen will. Die Täubchen nicken wieder verständig, sie wissen ja Bescheid. Das Leberblümchen reckt sich weit über seine Herzblätter hinaus, um ja nichts zu verpassen und die Frühlingsknotenblume läutet laut und stürmisch, obwohl es Mittagszeit ist! Aber das ist alles nichts gegen den Haselbusch, der seine goldenen Würstchen vor Freude in die Luft wirft, dass sie wie kleine Luftschlangen zu Boden sinken.
Frau Hasel, die mit dem goldenen Blütenstaub vom Lüftchen bepudert ist, jauchzt auf. „Oh ja, wir werden uns jedes Jahr mit der Hilfe des Windes umarmen, so können wir uns immer liebhaben und unser ganzes Leben zusammenbleiben, auch wenn zwei Zäune zwischen uns stehen“!
In diesem Spätsommer bekommt sie das erste Mal in ihrem Leben hunderte kleiner Haselnüsse. Marie, eine Marienkäfer-Larve ist das Kindermädchen und passt auf, dass die Kleinen keine Masern kriegen. Ohne die geniale Idee der Blumenelfe, das Wölkchen zu kitzeln, gäbe es diese Nuss-Kinder gar nicht. So hat sie für die feinsten und leichtesten Samen im Garten einfach die Wind-Bestäubung erfunden.
“Barry”, ein hübscher, dunkelbrauer Eichkater findet als erster die Haselnuss-Kinder und bringt einige in Wurzerls Garten, um sie dem Herrn Papa vorzustellen. Ein wenig erstaunt ist er schon, als Herr Hasel ihn ermuntert, doch viele seiner Nuss-Kinder als Wintervorrat zu vergraben. Aber die Idee ist natürlich gut und “Barry” freut sich über diesen unerwarteten Nuss-Segen.
Papa Hasel aber kennt die Vergesslichkeit der Eichhörnchen. Er weiß, dass “Barry” im Winter nicht alle Nüsse wiederfinden wird. Aber sie sind auf diese Weise sehr gut vor dem Eichelhäher, der sich im Winter sowieso lieber auf Wurzerls Terrasse zur Mahlzeit einfindet, verborgen. Jedenfalls werden alle Nüsse, die “Barry” nicht wiederfindet, in Papas Nähe neue kleine Hasel-Strauch-Kinder werden. Ist das nicht wunderbar?
8 Kommentare
Ach ist das wieder ein schönes Märchen gewesen, danke für die Kurzweil.
Liebe Grüße aus den heute noch sonnigen Brandenburg an der Havel
Bei uns regnet es lang ersehnt, aber leider mit Flocken dazwischen, sehr kalt, könnte auch ein wunderbarer Wachs-Regen sein. Aber die Natur ist nun mal kein Gärtner-Wunsch-Konzert. Liebe Grüße zurück Steffi vom Wurzerl
Das war so schön liebe Wurzerl, etwas für die Seele. Ich danke dir. 🙂
Ich danke Dir liebe Barbara, dass Dich das Märchen angesprochen hat. Gute Nacht, schlaf gut Wurzerl
ich kannte das Märchen ja schon liebe Renate, und es ist immer wieder schön zu lesen. wie alle Deine Märchen. Ganz, ganz toll. Liebe Grüße und eine schöne Restwoche für das Wurzerl.
Ja, richtig vor einem Jahr wollte ich ja den Omas in den Traumgärten Futter für Enkel-Telefonate liefern. Also, das nächste Märchen kennst Du noch nicht, heiliges Indianer-Ehrenwort. Wünsche Dir einen schönen Abend liebe Erika. LG Wurzerl
Danke liebes Wurzel, du hast mich wieder so schööön träumen lassen, ich habe gerade einen liebevollen ,, Film” gesehen und freue mich auf das nächste Märchen
Am 1.Mai träumen wir weiter, auch im Märchen gibt es Kontrastprogramm, darum folgt auf den verliebten Haselbusch ein kleiner Krimi – gut, dass Märchen immer gut enden (sollten). Wünsche Dir eine gute Zeit. Wurzerl