Ankommen
Der 21. Mai 2024 führt unsere Reisegruppe zuerst in einen Cornish Garden, dann jedoch direkt an die Küste und ans Meer! Als wir vom Bus aussteigen, stehen wir unmittelbar am schönsten Aussichtspunkt auf die Altstadt von St Ives, den Sandstrand und die Hafenmole mit dem Leuchtturm. Türkisfarbenes Meer rahmt diese schöne Szenerie ein.
Der eine oder andere von Euch erinnert sich vielleicht noch an meine Beiträge aus der Stadt Istanbul, in denen ich ganz tolle “Katzen-Guides” hatte. In St. Ives sind keine Katzen zu sehen. Sie bevorzugen eindeutig ein geruhsames, ungestörtes Leben in den wunderbaren Gärten, die Cornwall zu bieten hat. Die Küstenorte dagegen sind fest in der Hand der Silbermöwen. Ich drehe mich um, weil mich eine blaurote Telefonzelle von oben begutachtet. Von unten tut das gerade gleichzeitig ein große Seemöwe, die sich als “Little Robber” bei mir vorstellt.
Ich nenne die Silbermöwe lieber “Robby” und wir haben schnell einen Deal. Robby zeigt mir die Sehenswürdigkeiten in St Ives und erklärt mir unterwegs alles Wissenswerte und ein wenig Historie über die Stadt. Als Belohnung gibt es danach einen Happen zu essen. Während sich unsere Reiseschar aufteilt, weil wir einige Stunden freie Zeit in St Ives haben, folge ich der kleineren Gruppe, die mit Gerlinde und Jürgen in den Ort hineinschlendern. Das gefällt Robby gar nicht, denn er merkt schnell, dass Gerlinde fast so viel über St Ives weiß, wie er. Vater und Sohn Elster schauen uns erstaunt nach, als wir die Küstenstraße entlanglaufen. Nur eine hohe Mauer trennt uns vom Wasser.
Bevor Gerlinde etwas zu St Ives sagen kann, legt Robby schon los: “Ach, willst Du nicht die Gruppe laufenlassen und mit mir in die andere Richtung gehen?” Auf meine Frage, was denn dort interessant ist, wo doch St Ives eindeutig in der Richtung liegt, die wir einschlagen, erzählt mir Robby von einem aufregenden Erlebnis. Mitte Juni 2021 fand tatsächlich im Dorf Carbis Bay, 1 Meile südöstlich von St Ives, das 47. Gipfeltreffen der G7-Staaten statt. Für Angela Merkel war es der letzte Auftritt bei einem G7-Gipfel. Nö, was soll ich da? Ich bleibe bei der Gruppe, wir haben inzwischen kollektiven Hunger.
Auf dem Weg zum Hafen gibt es “Cornish Pasty”
Wir lassen uns nicht von den an der Uferstraße aufgereihten Fischlokalen verführen. Jürgen hat so von “Cornish Pasty” geschwärmt, dass ich das unbedingt probieren möchte. Robby fliegt plötzlich auf eine Mauerbrüstung, schaut in Richtung Hafenmole und fragt mich unvermittelt, ob ich Rosamunde Pilcher Filme kenne.
Er hatte mehrere Statistenrollen in den Filmen “Lichterspiele” und “Stürmische Begegnung” angenommen und konnte seinen theatralisch in die Ferne schweifenden Blick sofort wieder abrufen. Bedauernd erkläre ich ihm, dass ich weder die Filme noch die Romane der Schriftstellerin kenne, die nicht weit von St Ives in Lelant geboren wurde. Einige ihrer Romane, z.B. “Die Muschelsucher”, sind in St Ives angesiedelt, sie änderte jedoch den Namen der Stadt in “Porthkerris” ab. Grund genug an Rosamunde Pilcher zu erinnern, die am 22.9.2024 einhundert Jahre alt geworden wäre.
Robby starrt plötzlich unverwandt auf ein Schild. “Cornish Pasty”, steht da geschrieben. Hier sind wir richtig! Jürgen ermahnt uns, die Pasteten möglichst im Sitzen an einer Hauswand oder eine Mauer gelehnt, zu essen. “Sonst seid Ihr die schneller los, als Ihr reinbeißen könnt. Die Möwen reißen Euch das Essen einfach im Tiefflug aus der Hand.” Robby reagiert beleidigt und erklärt Jürgen, dass seine Vorfahren das im Hollywood-Film: “Die Vögel” von Tiertrainern gelernt hätten und diese Vögel darauf abgerichtet wurden, Menschen auf die Köpfe zu fliegen, um in den Haaren Futter zu finden, was auf der Filmrolle wie ein gefährlicher Angriff aussah. Nach Abschluss der Dreharbeiten wurden alle getötet. Robby bekommt kommentarlos seinen Anteil an den Pasty, die wirklich lecker sind. Er verkneift es sich hinzuzufügen, dass es ja inzwischen leider noch nicht einmal in einem Fischereihafen für Möwen möglich ist, sich von Fischresten zu ernähren, wie früher.
Am Hafen
Wir gehen weiter zum Hafen. Unsere Silbermöwe erzählt uns auf dem Weg, dass es hier zwei große Strände, nämlich “Porthminster Beach” und “Porthmeor Beach” und einen Kleineren, “Porthgwidden Beach”, alle mit feinstem, weißen Sand, gibt. “Porthmeor Beach” ist bei der Surfer-Gemeinde sehr beliebt.
Am Hafen herrscht den ganzen Tag ein geschäftiges Treiben. Morgens und vormittags liegt der Fokus auf der Fischerei. Wir sind am frühen Nachmittag hier und erfreuen uns an den malerischen, bunten Fischerbooten, die auf ihren nächsten Arbeitseinsatz warten. Jetzt sind die Touristen-Boote unterwegs und bringen Besucher unter anderem nach Seal Island, der Seehundkolonie. Dafür reicht unsere Zeit leider nicht, also bummeln wir langsam die Hafenmole entlang, bis wir am Leuchtturm ankommen, um einige Erinnerungsfotos zu schießen.
Die bunten Fischerboote im kristallklaren Türkis-Wasser sind ein wunderschöner Anblick. Stilvoll wirkt die Häuserzeile mit dem Kirchturm hinter dem Strand und der Uferstraße. Jetzt genießen wir einen umgekehrten Blick als von unserem Bus-Ausstiegspunkt aus.
Ob das ehemalige Lotsenhäuschen noch eine Funktion hat, oder nur noch als Lager dient, vermag ich nicht zu erkennen. Die aufgestapelten Hummer-Reusen sind aber eindeutig noch in die Arbeitsabläufe eingebunden. Das kann man vom Hai jetzt gerade nicht behaupten. Er wirkt, wie eine abgehalfterte skurrile Galionsfigur. Ich verkneife mir die Frage an Robby, ob er den Film “Der Weiße Hai” kennt.
Wir gehen die Hafenmole zurück und sehen eine Tafel in der Mauer, die auf einen Schnellsegler und seine Leistung, 1902 erbracht, hinweist. Robby bemerkt beiläufig, dass er natürlich schneller unterwegs ist. Er schafft immerhin eine Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h. Trotzdem frotzle ich ein wenig: “Ja, ja, Du Kamikaze-Flieger, wer es glaubt!” Wir verlassen den Hafen, um uns in den engen Gässchen und Seitenstraßen umzusehen. Der Touristenandrang an der Uferstraße wird uns nämlich etwas zu ungemütlich.
Bummel durch die Altstadt
Zwei Dinge haben wir inzwischen abgehakt, wir waren am Strand und haben damit St Ives als Badeort gewürdigt. Am Hafen haben wir die Kompetenz in Sachen Fischerei erlebt. Nun wollen wir uns noch mit dem dritten Punkt beschäftigen, mit dem Künstlerort St Ives.
Das St Ives Museum, versteckt gelegen inmitten der alten Straßen im Herzen der Stadt, deckt jeden Aspekt der Ortsgeschichte, von Geologie und Archäologie bis hin zum Bergbau, der Fischerei, Landwirtschaft und Schiffswracks ab. Wir sind uns einig, das kostet uns zu viel Zeit.
Dann fragt Robby, ob wir in die am Porthmeor Beach gelegene Galerie “Tate St Ives” mit seinen wechselnden modernen Kunstausstellungen gehen möchten. Es gibt dort auch Exponate von Künstlern, die in St Ives gelebt haben, oder noch leben und ist tatsächlich ein Ableger der berühmten Tate Gallery in London.
Wir haben auch dafür keine Zeit und suchen lieber in Hafennähe, im alten Fischerquartier “Downalong” nach den Spuren früherer Bewohner. Neben den Fischern und Händlern kamen, ab und an in Kriegszeiten, auch immer wieder Künstler in die kleine Stadt. Während wir immer neue maritime Attribute an den Häusern entdecken und völlig entzückt sind, welche Pflanzenliebe die Menschen hier noch heute auf ihren Balkonaufgängen und Mauerkronen zeigen, erzählt uns Robby einiges über die hier ansässige Kunst- und Kulturszene.
Beiläufig erwähnt Robby das “Talland House”. Das sagt mir erst einmal nichts, bis der Name Virginia Woolf fällt. Das Haus war von 1882 – 1895 im Besitz der Familie Stephen. Leslie Stephen war Virginia Woolfs Vater und sie verbrachte die Sommermonate als Kind regelmäßig in St Ives und dem “Talland House”. Auch wenn sie eine sehr unglückliche Jugend erlebt hatte, so sind ihre Romane: “Jacobs Zimmer” oder “Die Fahrt zum Leuchtturm” doch Reminiszenzen an die Stadt.
1895 zog der schottische Maler Thomas Millie Dow in das Haus nahe dem “Porthminster Beach” und lebte dort bis zu seinem Tod 1919.
Für das rotblättrige Aeonium haben die Bewohner von St Ives offenbar eine Schwäche, das zaubert uns auch ohne Aufforderung ein Lächeln auf die Lippen.
Dann höre ich weiter zu, was Robby für ein erstaunliches Wissen über die Kunstszene in St Ives hat. So gründeten Ben Nicholson, Alfred Wallis und Christopher Wood 1928 eine Künstlerkolonie in der Stadt.
Von 1974 – 2021 lebte hier der zeitgenössische, moderne Maler, Roy Ray.
Der englische Komponist George Lloyd, ein Romantiker, wurde sogar 1913 in St Ives geboren.
Wir sind aus “Downalong” heraus und in einer Straße mit kleinen Kunstgalerien, Souvenierlädchen und Läden, die Kornische Spezialitäten, wie Kornisches Eis, Pasty oder die berühmten Weichkaramellen anbieten, die ich leider nicht kaufe, weil ich sie mit den üblichen Plomben-Ziehern verwechsle. Eine Tüte, die nach der Abfahrt im Bus herumgereicht wird, belehrt mich eines Besseren, aber da ist es dann auch zu spät.
Der Bummel ist nicht nur interessant, sondern auch amüsant. Gut dass wir nicht so kopflos herumlaufen, wie der befrackte Gentleman in einem Hinterhof.
Gerne hätte ich mir die “Leach Pottery” angeschaut. Aber sie ist mindestens 20 Minuten von unserem Standort entfernt. Bernard Leach und Shoji Hamada gründeten 1920 die “Leach Pottery” in St Ives. Die Töpferwaren, die sie herstellten, entstanden in einer künstlerischen Verbindung westlicher und östlicher Philosophie. Fünf Jahre nachdem Leach 1972 aufgehört hatte zu arbeiten, zeigte das berühmte “Victoria and Albert Museum” in London seine Arbeiten. Von 2005 – 2008 wurden die Gebäude restauriert und der Töpferei, die auch heute noch in Betrieb ist, dem Museum und der Galerie noch ein Ausstellungs- und Verkaufsraum hinzugefügt.
Abschied von der Silbermöwe und die “St Ives Parish Church”
Schon beim Betreten des Ortes und von den verschiedenen Aussichtspunkten der Bushaltestelle und der Hafenmole aus, war uns der charakteristische Kirchturm in der Stadt-Silhouette aufgefallen. Dorthin bringt uns Robby jetzt. Der ursprüngliche Name der Kirche, “St Ia’s Church” leitet sich von der Kornischen Heiligen “Ia” ab. Wir bewundern nicht nur das alte Gemäuer, sondern auch das Keltenkreuz in einer kleinen Anlage neben der Kirche, in der Palmen, hohe blaue Natternköpfe, Enziansträucher und gelbe Strauchmargeriten gedeihen.
Schneller als gedacht, kommt der Abschied von Robby. Auf die Frage, was er nun machen wird, meint er, es sei Zeit für ein abkühlendes Bad. Dann will er in die Parallelstraße zurückkommen und im Museumsgarten von Barbara, ein ungestörtes Nickerchen machen. “Oh”, meint Gerlinde Halwax, “vielleicht treffen wir Dich da ja wieder, das wird nämlich unser abschließender Besuchs-Höhepunkt in St Ives”. Robby hört uns nicht mehr, er fliegt schnell weg, unsere Silbermöwe mag keine Abschiede.
Nun ist es an Gerlinde, die kleine Restgruppe, die noch dabei ist und keinen Abstecher in ein Café oder eine Eisdiele vorgezogen hat, zur Parallelstraße der Kirche zu führen. Als sie meint, dass man den Kirchturm nirgends so gut sehen kann, wie vom Garten aus, sind wir dabei. Gut, ein wenig Schwund gibt es immer, also groß war unsere Gruppe nicht mehr wirklich, als wir am Eingang zum “Barbara Hepworth Museum und Sculpture Garden” stehen. Aber was wir dort geboten bekommen, ist wirklich der krönende Abschluss unseres Besuches in St Ives und wir sind kollektiv Gerlinde sehr dankbar für diesen Geheimtipp.
Über unseren Besuch im “Barbara Hepworth Garden” werde ich nächste Woche ausführlich berichten. Für heute endet meine Erzählung.
Eine Anmerkung muss ich allerdings noch machen. 1877 wurde von der nahegelegenen Gemeinde St Erth aus, eine Eisenbahnstrecke nach St Ives gebaut. Die Stadt wurde danach endgültig zu einem beliebten Urlaubs- und Ausflugsort in Cornwall.
Wir wollen das ausprobieren und bestellen unseren Bus deshalb zum Bahnhof in St Erth, um “eine der attraktivsten Zugstrecken in Großbritannien” (so der Reiseführer) zu genießen. Ich möchte jetzt nicht gehässig sein, aber unsere Fahrt mit dem Zug von St Ives nach St Erth findet dank der ungeputzten Zugfenster ohne ein einziges Foto statt. Mir fehlen nicht nur saubere Scheiben, mir fehlen auch lohnende Motive. Die Behauptung über die angebliche “Attraktivität” klingt für mich ganz schön übertrieben. Den Zug kann ich entbehren, St Ives würde ich gerne wieder besuchen.
Aber den Link zu diesem wunderbaren Museumsgarten von Barbara Hepworth habe ich inzwischen für Euch parat:
11 Kommentare
Liebe Renate,
an einem Rosamunde Pilcher-Film bin ich tatsächlich mal für eine Weile beim Zappen hängen geblieben. Nicht wegen der Geschichte, sondern wegen der wunderschönen Landschaftsaufnahmen.
Du weckst mal wieder die Lust auf eine Reise nach Cornwall und ich bin gespannt auf den Garten!
Liebe Grüße
Susanna
Liebe Susanna, ich hoffe natürlich sehr, dass Dir dieser besondere, individuelle Künstlergarten, den ich nächsten Freitag zeige, gefallen wird. Schönes Wochenende und lG Wurzerl
Liebe Renate!
Habe mit einem Lächeln im Gesicht soeben deinen hinreißenden Reisebericht, inkl. Robby, sehr genossen!!!
Dank der wunderschönen Bilder fühlte ich mich wieder dort hin versetzt 😘
Die Zugfahrt hacken wir als „ No Go“ ab!
Danke und liebe Grüße
Lisa “a bisserl Schwund gibts imma”. LG Wurzerl
Da würde ich auch gern mal hin, nicht nur wegen der Möwen, sondern auch wegen der Gärten und der Küstenlandschaft. Toll, was da alles in den Mauern wächst.
VG
Elke
Das hast Du wunderschön beschrieben! 😍
Danke liebe Irmi, schönen Sonntag! LG Wurzerl
Ich habe im Geiste die schöne Reise mitgenossen und habe die Möwe rufen hören. Danke, liebe Renate, für deinen so unterhaltsamen Bericht.
Danke liebe Alla, das freut mich. LG Wurzerl
Liebe Renate,
vielen Dank dafür, dass du uns noch einmal in diesen wunderschönen Ort mitgenommen hast. Es war einer meiner Lieblingsorte dieser Reise. Deine Beschreibung ist wunderschön und amüsant zugleich.
Dankeschön und liebe Grüße
Renate Klatte
Vielen Dank, liebe Renate, das freut mich sehr. LG Wurzerl