Milde Septembertage im Hermannshof, Weinheim

Gräser- und Rudbeckia-Blüte im Hermannshof Weinheim

Ankommen

Für den Indian Summer ist es Ende September noch zu früh, aber die Dahlien, Astern und Gräser zeigen jetzt ihr volles Potential. In den Beeten wechselt sich sattes Grün mit interessanten, teilweise bizarr aufgereihten ockerfarbenen bis bräunlichen Samenständen verschiedener Stauden ab. Ich liebe diese Widersprüchlichkeit von Pflanzen, die sich jetzt voll entwickelt präsentieren und anderen daneben, die bereits von einem Hauch von Vergänglichkeit gezeichnet sind.

Dank der milden Septembersonne liegt eine entspannte Heiterkeit über dem Hermannshof. So nehme ich das Tautropfengras, Sporobolus heterolepis, auch als solches wahr. Wie schnell könnte es bei entsprechend anderer Stimmung auch als “Gras der Tränen” wahrgenommen werden.

Die Vegetations-Situation, die ich an diesem Tag vorfinde, verdeutlicht den Übergang des Hochsommers hin zum Herbst. Die schräg stehende Sonne spiegelt sich in der gelben Dahlie auffälliger, als sie sich am Himmel zeigt.

Dahlia coccinea var. palmeri, Palmers Scharlach-Dahlie – Pennisetum marcourum ‘White Lancer’ – Zinnia elegans ‘Scarlet Flame’

Die Knallfarben der Zinnien-Blüten präsentieren sich stolz im Beet. Solitärgräser wie Pennisetum marcourum ‘White Lancer’ werden ihrer Vermittlerrolle zwischen den auffälligen Dahlien oder exotischen Salbeisorten, wie Salvia ‘Amistad’, gerecht. Die täglich zunehmenden Samenstände der Korbblütler, deren Samen jetzt aus den Kapseln herausquellen, stehen im Gegensatz zu den geerdeten braun gewordenen samenreifen Schafgarben, die vor hellen Grasstielen sehr harmonisch und ansprechend im Beet stehen.

Die Bilder dieses Tages im Hermannshof, nicht Fisch, nicht Fleisch; kein Sommer mehr, aber auch noch nicht ganz Herbst, lösen etwas in mir aus. Plötzlich habe ich ein Gedicht von Rainer Maria Rilke vor Augen, das genau diesen noch nicht erfolgten Übergang des Sommers zum Herbst schildert. Gerne möchte ich Euch dieses mein Lieblings-Herbstgedicht aufschreiben. Es berührt mich jedes Mal wieder, seitdem ich es das erste Mal gelesen habe.

“Herbsttag”

Gedicht von Rainer Maria Rilke aus dem Jahr 1902

Zinnia elegans ‘Queeny Red Lime’ – Zinnia elegans ‘Queeny Red Lime’, Amaranthus cruentus ‘Hot Biscuits’ – Zinnia elegans ‘Queeny Red Lime’

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Ich habe mir oft und lange Gedanken darüber gemacht, warum mich dieses Gedicht so packt. Inzwischen weiß ich den Grund. Es ist der Versaufbau, der mit der Bitte des Menschen an Gott beginnt, die heißen Sommertage enden zu lassen. Demütig kommt diese dreizeilige Bitte am Gedicht-Anfang auf den Leser zu. Der mittlere Gedichtteil braucht schon vier Zeilen, um mit mehr Nachdruck um einen Hitzebruch zu bitten, damit die Natur erfrischt ihren Reifezyklus abschließen kann. Im dritten und letzten Gedichtteil wird dann in wieder einer Zeile mehr, also sehr eindringlich beschrieben, wie sich dieses Bild “des Einbringens der reifen Ernte” im menschlichen Leben auswirkt, wenn man versäumt hat, seinen “persönlichen Acker” zu bestellen.

Drei Zeilen, vier Zeilen, fünf Zeilen – nachdrücklicher geht es nicht – und das Umschwenken von der erfolgreichen Ernte im Feld zur rechten Zeit, zur nicht eingebrachten Ernte im menschlichen, persönlichen Bereich zur richtigen Zeit macht deutlich, dass wir zwar in der Natur die Hilfe von oben brauchen, aber unser ureigenstes Feld unbedingt selbst bestellen müssen.

Wie geht es weiter im Hermannshof ?

Meine Gedanken kehren zum Hermannshof zurück und während ich mich mit Rilkes “Herbsttag” beschäftigt habe, sind wir kreuz und quer durch die Felssteppen, die Präriegärten und die Freiflächen gewandert.

Pennisetum marcourum ‘White Lancer’ – Calamagrostis brachytricha, Diamantgras – Miscanthus Sinensis-Gruppe ‘Undine’

Plötzlich fällt mir mein Post über die Tulpenblüte im Hermannshof ein. Um zum Gedicht zurückzukehren, wo nichts gesät wird, wird nichts geerntet, auch wenn das Wetter wunderbar passt. Wenn ich mich richtig erinnere, wird ein Großteil der Tulpenzwiebeln nach der Blüte aus den Beeten genommen und im Herbst neu gesteckt. Wie wird es diesen Herbst sein, was erwartet die Besucher im Frühling 2024?

Sicher wird sich in wenigen Wochen der “Indian Summer” mit lebhaften Färbungen bei den Gehölzen und so manchen Stauden zeigen. Die Präriebeete spielen förmlich mit der nordamerikanischen Natur, auch wenn sie sie nicht imitieren, sondern für das Auge des Betrachters gefällig kombiniert sind. Der Kontrast der vielen unterschiedlichen Gräser zu den über hundert verschiedenen Astern und anderen Herbstblumen, wird hoffentlich, zumindest in großen Teilen Bestand haben.

Viele Gräser sind so stabil, dass sie nach den ersten Novemberstürmen auch noch im Winter Struktur und Präsenz zeigen. Möge das Herbstfest, zusammen mit den Astern und der Blattfärbung der Gehölze hoffentlich noch lange stattfinden.

Von den sonnenanbetenden Astern lasse ich mich schließlich über einen Weg am Gehölzrand zu den Waldastern führen, die es sich lieber im Halbschatten gemütlich machen. Der Gehölzgürtel geht weit um das Gelände außen herum und ist vielseitig mit Schattenstauden bestückt. Sicher wird nicht alles künftig Bestand haben können, aber ich bin mir sicher, dass niemand hier eine schlechte “Tabula rasa Aktion” plant.

Ich suche ein letztes Mal ein “Gespräch” mit den Methusalems des Hermannshofes. Die “Orientalische” und die “Ahornblättrige Platane” kennen mit je 245 Lebensjahren das Areal am längsten. Die Blätter lispeln mir zu:

“Mache Dir bitte keine Sorgen! Wir haben Weltkriege, Naturkatastrophen, Geldinflationen, Hungersnöte und Epidemien zuhauf erlebt. Viele Millionen Menschen sahen wir kommen und gehen. Wir waren – sind – und bleiben, auch wenn sich unsere kurzlebigen Schwestern die Stauden verabschieden und vielleicht in ihrer Vielfalt abnehmen. Frage nicht, was kommt! Sei denen dankbar, die uns bis heute an diesem Ort behütet haben.”

Stauden- und Sichtungsgarten Hermannshof

Adresse:

PLZ 69469 Weinheim, Babostr. 5

Website: https://sichtungsgarten-hermannshof.de/

Teile als erste*r diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

8 Kommentare

  • liebe Renate das war richtig schön für die Seele 😍 Dankeschön

  • Thomas Brucker sagt:

    Guten Morgen liebe Renate und herzlichen Dank für diesen wieder wunderbaren Spaziergang durch den Hermannshof an den wir auch einige schöne Momente genossen haben. Ja was mag in der Zukunft daraus werden. Wir werden es mit bangendem Blick beobachten.
    Dir einen schönen Freitag und einen guten Start ins Wochenende gewünscht. Liebe Grüße. Thomas

  • Susanna sagt:

    Dankeschön für den tollen Beitrag, liebe Renate. Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie schnell sich ein Park verändert. Wir waren im Juni im Hermannshof; wie schön, ihn jetzt mit den Astern und Gräsern zu sehen. Das RiLke-Gedicht passt wunderbar, ich mag es auch sehr!
    Wir werden sehen, was die Zukunft bringen wird …
    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
    Susanna

  • Hallo Renate,
    schöne Bilder!
    Es ist so sommerlich heiß, dass man noch gar nicht an Herbst denken mag.
    So eine Hitze hätte von mir aus nicht sein müssen im September.
    Viele Grüße
    Elke

Cookie-Einstellungen