Ankommen in der Stadt
Zeil am Main, eine unterfränkische Stadt im Landkreis Haßberge, ist mein heutiges Ziel. Noch 5 Minuten schreibt das Navi. Seufz, in letzter Sekunde noch eine Baustelle und mit den vielen Einbahnstraßen in der Altstadt möchte mein Navi letztlich doch immer wieder die Baustellensperre durchbrechen. Ich frage mich ernsthaft, wie ich das früher alles geschafft habe, ohne Navi, nur mit einer Landkarte, als ich die abgelegensten Hotels in Finnland, Dänemark, Norwegen oder Schweden ohne große Umschweife gefunden habe. Soll ich jetzt mit dem Navi an einer Baustellen-Sperre scheitern?
Historische Zeugen gibt es schon außerhalb der Stadt Zeil zu erkennen. Die Reste der Burg Schmachtenberg mit den Ummauerungen und vier Flankierungstürmen sind auf einem Hang etwa 100 m hoch gelegen. Mit dem „Zeiler Käppele“ besitzt die Stadt eine Wallfahrtskirche, die über dem Maintal thront. Davor stand hier die Burg Zeil. Als diese verfallen war, errichtete man im 18. Jhdt. an dieser Stelle eine Muttergotteskapelle. 1894 wurde der Grundstein für die heutige Wallfahrtskirche gelegt. Ich bin jetzt in Zeil und sehe schon die Kirche in der Nähe des Marktplatzes.
Der Zeiler Hexenturm, ebenfalls nicht weit vom Marktplatz entfernt, erinnert an unrühmliche Zeiten. Das Hochstift Bamberg hatte Zeil a.M. im 17. Jahrhundert als Richtstätte und Schauplatz großer Hexen-Verbrennungen, missbraucht. Über 400 arme Menschen wurden seinerzeit, aus welch infamen Gründen auch immer, denunziert, in Bamberg verurteilt und nach Folter in Zeil a.M. hingerichtet. Die Dokumentation im Stadtturm und dem angebauten Fronhaus erinnert an dieses komplexe Thema und informiert über die Aufarbeitung unzähliger Dokumente und Protokolle.
Kurzerhand parke ich direkt am Marktplatz, der von alten Fachwerkhäuschen eingerahmt ist und gehe zu Fuß in Richtung Stadtmauer. Ich werde keine neue Stadtbesichtigungs-Schleife, vom Navi verordnet, akzeptieren. In einem der „Grabengärten“ an der alten Stadtmauer werde ich von Familie Schlegelmilch erwartet. Sie stehen am Tor und die Begrüßung fällt, allein schon dank der Anwesenheit von Tessa, sehr herzlich aus. Bevor ich mich dem Garten zuwende, muss ich noch einige Details zur Zeiler Stadtmauer erzählen.
Rosa ‘Compassion’ – Rosa ‘Bobby James’ – Rosa centifolia ‘Fantin Latour’
Der Teil der Stadtmauer, an dem sich die Grabengärten befinden, ist nicht zu übersehen. Es ist das mit Abstand längste Mauerstück und dazu auch noch das am besten erhaltene. Die Stadtmauer ist eine wunderbare Kulisse für die Gärten, die in deren Schutz dank eines besonderen Kleinklimas aufblühen. Kein Wunder also, dass hier Dornröschen erfolgreich gärtnert. Fünf Schalentürme sind ebenfalls noch zu sehen, die Brüstungshöhe ist mit bis zu 7 m Höhe ebenfalls beachtlich. An einigen Stellen erkenne ich noch Reste des früheren Wehrgangs, die in etwa 4 m Höhe verlaufen. Hinter der Mauer lag vormals ein breiter Wassergraben. Heute ist der Stadtsee ein Rest davon. Der kleine Bewässerungsgraben, der durch die Gärten läuft und mit der Altach den Stadtsee speist, erinnert an früher. Zwischen dem Finanzamt und dem Grabengarten-Durchgang wird langsam immer deutlicher sichtbar, dass sich die Mauer stark nach außen neigt. Ursache ist, ähnlich dem Turm von Pisa, der feuchte, weiche Untergrund.
Die Gartenanlage der „Grabengärten“ ist nach dem 30-jährigen Krieg entstanden, als das Sumpf- und Wassergebiet entlang der Stadtmauer aufgeschüttet wurde. Jeder ansässige Bauer bekam ein Stück zur Privatnutzung zugeteilt. Seit stolzen 150 Jahren befindet sich der Garten, den ich heute besuche, im Besitz der Familie. Christas Vater beackerte den Garten seit Ende der 60er Jahre hauptsächlich als Nutzgarten für Obst und Gemüse, Blühendes war eher zufällig im Garten gelandet.
Der Garten an der Stadtmauer
Als Christa und Martin Anfang der 90er Jahre den Garten übernahmen, da sollten die ca. 980 qm aufblühen und nicht mehr ausschließlich als Nutzgarten dienen. Christa, eine studierte Biologielehrerin, überließ den Wandel nicht dem Zufall. Sie belegte verschiedene Kurse zu Rosen und ähnlichen Themen und besuchte bekannte Gärten in Großbritannien. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. An der Stadtmauer entstand ein formaler fränkischer Bauerngarten, mit dem Schwerpunkt historischer Rosen.
Während ich Euch diese Grundinformationen zum Garten gebe, sind wir am 17 m langen, durchgehenden Staudenbeet direkt an der Stadtmauer, mit einer Breite zwischen 3 – 5 m vorbeigelaufen. Es ist mit einer halbhohen Naturstein-Mauer eingerahmt und etwas höhergelegt. Schon hier muss ich erste Rosenporträts einstreuen, denn diese sind das I-Tüpfelchen in diesem Garten und egal ob Duftrose, Insektenrose, Alte Rose, Kletterrose oder Beetrose, es sind die absoluten Lieblinge von Christa.
Der Garten ist dreigeteilt und ich beginne den Spaziergang im hinteren Teil, der eine kleine Streuobstwiese, 6 Obstbäume, eine Hecke, Beerensträucher und einen kleinen Gartenteich nebst Sitzbank, beinhaltet. Der alte Apfelbaum trägt schöne gelbe Flechten auf der Rinde, ein Zeichen für gesunde, gute Luft im Garten. Die Sträucher an der Grundstücksgrenze sind wie das Mauerbeet von Natursteinen eingefasst, hier ist es jedoch nur eine Steinhöhe. Alles, was sich wohlfühlt, darf unter den Gehölzen wachsen. Mit Staunen sehe ich, dass sich hier sogar eine Arisaema, ein Feuerkolben, angesiedelt hat.
Ich bin begeistert über die Vielfalt des Obstes, der Beeren und der Unterpflanzungen, meist Stauden. Um Blühinseln, wie hier das blaue Meer an Kornblumen, wird schonend außen herumgemäht.
Als ich auf der schönen Holzbank sitze, bin ich von Blau umgeben. Hinter mir blühen die Kornblumen und vor mir befindet sich eine blaue Wasserfläche. Gut, blaue Seerosen gibt es hier nicht, sie sind rosa, aber das ist gut so, denn die Blauen sind Exoten, die den fränkischen Winter nicht überleben würden.
Rosa ‘Pink Grootendorst’, Nelkenrose – alte namenlose Sorten – Rosa ‘Celsiana’, Damaszenerrose von 1750
Insgesamt sind über 60 verschiedene Rosen im Garten verteilt. Sie tummeln sich in den Beeten, an der Mauer, klettern auf zwei Rosenpavillons (8 Kletterrosen) und blühen mit 18 historischen Strauchrosen am Gartenzaun. Damit hat Christa Schlegelmilch einen roten Faden durch ihren vielfältigen Garten gepflanzt, der die verschiedenen Gestaltungskomponenten erfolgreich und harmonisch verbindet.
Schon im Randbereich des hintersten Gartenteils entdecke ich den Blick auf die lange Sichtachse zu den beiden Rosenpavillons und die grünen abgrenzenden Einfassungen der ersten beiden Zwillingsbeete von insgesamt sechs formalen Beeten, je Zwei vor, zwischen und nach den Rosenpavillons. Iris barbata-elatior ‘Rota’, eine Hohe Bartschwertlilie, hat sich verspätet. Sie blüht zusammen mit den Rosen. Insgesamt gibt es 3 Beete voll mit den schönsten Irissorten. Diese sind neben den Rosen die besonderen Highlights. Sie blühen im Mai, unmittelbar vor den Rosen und sind während dieser Zeit ein großer Blickfang.
Das schafft im mittleren Gartenteil eine architektonische Einheit und kompakte Geschlossenheit, als Antwort auf die überall im Garten präsente Stadtmauer. Gleichzeitig ist der langgezogene Rahmen der beiden Rosenpavillons, einmal mit Brunnen und einmal mit Sitzgruppe bestückt, so locker, dass dank der verspielten Rosen und der abwechslungsreichen Beetbepflanzung mit viel Gemüse, aber auch Zierpflanzen, keine Schwere über der Gartenmitte liegt.
Im hinteren Rosenpavillon plätschert entspannt ein Springbrunnen aus Zeiler Sandstein, von einem einheimischen Steinmetz 2002 nach Christas Vorstellungen gefertigt. Rosa ‘Honorine de Brabant‘ eine historische, lila-rosa gestreifte Rose schaut ein wenig neidisch zu den Rosen ‘Himmelsauge‘ und ‘Santana‘ die dem Brunnen unmittelbar am Pavillon Gesellschaft leisten dürfen.
Ich gehe zwischen dem mittleren Zwillingsbeet hindurch auf die vordere Rosenpergola zu. Dort sitzt schon Christa, um Euch selbst einiges über ihren Garten zu erzählen, also klickt gerne auf das Bild und vergesst bitte nicht, den Ton laut zu stellen.
Die lauschige Sitzgruppe wird eingerahmt von der duftenden Kletterrose ‘Compassion‘ und der Edenrose 85. Von letzterer erzählt Christa Schlegelmilch, dass es die schönste Rose sei, die sie besitzt. Kein Wunder also, dass sie sie gerne in der Nähe ihres Sitzplatzes hat.
Ich bin jetzt im vorderen Teil mit dem großen, sehr alten Walnussbaum, Rasen, dem Gerätehaus und einem weiteren Sitzbereich angekommen. Die Frauenbüste gefällt mir ungemein gut. Sie unterstreicht den Charme und die romantische Ader, die dieser fränkische Bauerngarten ausstrahlt und befindet sich noch im Teil des formal angelegten Innenbereichs.
Der Weg zum Ginkgobaum wird von edelsten alten Rosen begleitet. Tessa sitzt schon oben am Ausgang. Sie guckt etwas traurig, ist schon fein, wenn sich im Garten etwas rührt. Trotzdem naht der Abschied und während ich mich herzlich bedanke, dass ich kommen und fotografieren durfte, versprach ich auch schon, im Jahre 2024 mit meiner Traumgartengruppe wiederzukommen.
Garten an der Stadtmauer – Christa und Martin Schlegelmilch
PLZ 97475 Zeil a. Main, Hauptstraße 15
Kontakt für Besuchsanfragen: Tel. 09524/850305
Mail-Adr: ch.schlegelmilch@googlemail.com
13 Kommentare
Ein wirklich gelungener Garten. Auch wenn er als fränkischer Bauerngarten angelegt wurde, hat er viel englischen Charme. So eine ehrwürdige Mauer macht auch einen wunderbaren Hintergrund.
Liebe Johanna, genauso ist es, was man sich wünscht und wie man in seinem Refugium werkt, das sieht man dann an einem mehr oder weniger stimmigen Ergebnis. Wichtig ist nur, dass man sich letztlich darin wohlfühlt und die Besucher das nach- und mitempfinden können. Und genau das ist hier der Fall. Schönes Wochenende und lieben Gruß Wurzerl
Ein Genuß ! Die Eden 85 habe ich auch, gleich zweimal sogar. Aber leider ist der Nußbaumschatten drüber gewachsen, deshalb blüht sie kaum mehr. Als ich sie eingepflanzt habe, war dort volle Sonne……
Leider sind Rosen mit ihren Pfahlwurzeln adult äußerst schwierig zum Versetzen. Einfach mal ein Versuch mit Stecklingen? LG Wurzerl
Ein wunderschön gestalteter Garten! Die Lage an der Stadtmauer ist ein Traum, optisch wie klimatisch. Wir waren vor Kurzem in Dinkelsbühl und haben dort die kleinen Gartenstücke an der Stadtmauer bewundert. Sie waren nicht besonders angelegt, aber ich habe mir ausgemalt, was dort entstehen könnte. Nun hast du es hier gezeigt.
Liebe Grüße
Susanna
Ja, viele unterschätzen ihr ganz persönliches Kleinklima im Garten, anstatt es für sich zu nutzen. In Zeil wurde sehr bewusst damit gearbeitet. LG Wurzerl
Ein wunderschöner vielfältiger interessanter und mit Liebe angelegter Bauerngarten, der eine spannende Geschichte hat. Dank Deiner tollen Erzählweise und der tollen Bilder, liebe Renate, ist man wieder so richtig mit dabei, bei dem zauberhaften Rundgang durch diesen einmaligen Garten.
Ich habe von Christa Schlegelmilch dankenswerterweise viel Input bekommen, dann erzählt es sich recht leicht. LG Wurzerl
2018 durfte ich diesen tollen Garten bereits einmal besuchen, vielen lieben Dank liebe Renate, dass du mich nochmals mitgenommen hast.
Jetzt freue ich mich schon sehr darauf, den Garten während unserer Traumgärtnerreise wieder zusehen
Ja, eigentlich müsste Sylvia mit ihrer Drohne mitkommen, lach. LG Wurzerl
Hallo Renate,
die Gegend ist sowieso sehr schön, und der Garten ein Traum.
Schöne sommerliche Eindrücke!
VG
Elke
Ein fränkischer Sommertraum mit englischen Inspirationen— wunderschön,
Herzliche Grüße aus der Westallgäuer Bodenseeregion🥰
Herzliche Grüße zurück aus der Münchner Ecke. LG Wurzerl